Traurig, aber leider Realität. Erst jüngst meldete die amerikanische Militärzeitung „Stars and Stripes“ die aktuellen Zahlen von Suiziden in der Truppe. Dabei betrifft es Kameraden aller Waffengattungen, die einen Suizid vollzogen haben. Nach Angaben des Magazins, das sich auf Aussagen des Pentagon stützt, töteten sich im Jahr 2012 insgesamt 349 Soldaten selbst.
„Suicides in the U.S. military surged to a record 349 last year, far exceeding American combat deaths in Afghanistan, and some private experts are predicting the dark trend will grow worse this year.“
Aber nicht nur in der US- Armee kommt es zu diesen Verzweiflungstaten. Die Bundeswehr verzeichnet diesbezüglich einen erschreckenden Trend mit dem Verlauf der Auslandseinsätze. Für außenstehende ein vielleicht unfassbarer Weg, sich selbst aus Verzweiflung das Leben zu nehmen, aber aus Sicht der Soldaten ein gerechtfertigter. Einige Leser kennen sicherlich die Filmszene aus der US- Verfilmung „Jarhead – Willkommen im Dreck“ vom britischen Regisseur Sam Mendes. Mehrere US- Soldaten schauen sich im weiteren Verlauf der Handlung gemeinsam ein Video an und dabei entpuppt sich der Film als privates Homevideo. Der betroffene Soldat sieht, wie seine Frau mit einem anderen Mann intim wird. Und das ist leider kein schlechter Scherz, denn es betrifft auch viele deutsche Soldaten, die in einem Auslandseinsatz sind.
Familie und Freunde sind oft der einzige Halt, den sie fernab der Heimat haben. Druck durch Vorgesetzte und ein vielleicht nicht immer kameradschaftliches Verhalten derer, mit denen man die Wochen und Monate verbringen muss. Es muss auch nicht zwingend immer eine Gefahrenlage sein, der man als Soldat ausgesetzt ist, denn das sind bei der Bundeswehr nicht viele. Die meisten im Ausland eingesetzten Soldaten verbringen ihren Dienst und ihre Freizeit im Feldlager und sehen Tag ein und Tag aus immer nur das gleiche Programm. Die einzigen, ihnen verbliebenen Kommunikationswege sind das Diensttelefon, vielleicht eine private Verbindung über den Telekommunikationsanbieter ASTRIUM, oder dem Internet. Was bleibt, in einem fernen Land, ist die Hoffnung, alles wieder so vorzufinden, wie man es verlassen hat.
Jene Soldaten, die während ihres Auslandsaufenthaltes von ihrer Partnerin oder Ehefrau mitgeteilt bekommen, dass sie sich für eine zukünftige Partnerschaft anderweitig orientiert haben, wissen keinen Ausweg mehr. Viele Gründe sprechen gegen vertrauliche Gespräche, denn es gilt vor allem unter Soldaten als weich oder unsoldatisch, sich über Beziehungs- oder Eheprobleme auszutauschen. Die Möglichkeit, den Militärseelsorger oder den Psychologen aufsuchen zu können, wird eher in den Ausnahmefällen wahrgenommen. Es ist einfacher als man denkt, denn jeder Soldat im Auslandseinsatz hat für den Fall der Verteidigung eine Waffe. In der Regel ist es für deutsche Soldaten die Heckler& Koch P8 9mm. In Verbindung mit Alkohol und der Depression, einen lieben Menschen an einen anderen verloren zu haben, ist oft genug Motivation, im Suizid den einzigen Ausweg zu sehen. Aber darüber hinaus ist es nicht nur das. So hatte sich im Jahr 2006 im Marinestützpunkt Wilhelmshaven ein junger Bootsmann das Leben genommen. Als ihn die Kameraden drei Tage später fanden, lag er als „Artilleriewaffenmeister“ im Dienstanzug gekleidet und erschossen in seinem Munitionsbunker. Unter seinen weißen Handschuhen lag sein Abschiedsbrief. In diesem Brief äußerte er sich gegenüber seinen Vorgesetzten, vor allem aber gegenüber seinem Kommandanten. Der junge Bootsmann sah sich nicht mehr in der Lage, den hohen Ansprüchen und der Art des Kommandierenden gerecht zu werden und ging den Weg des Suizid.Es gibt zahllose dieser Beispiele aus der Truppe und die Betroffenen aus dem näheren Umfeld schweigen dazu.
Im nachfolgenden habe ich ein paar statistische Auswertungen eingefügt, die den Verlauf der Todesfälle bei der Ausübung des Dienstes, aber auch des Suizides aufzeigen. Seit dem Bestehen der Bundeswehr ist der Kurvenverlauf der Todesfälle bei der Ausübung des Dienstes erst gestiegen, dann aber in den weiteren Jahren gesunken. Bei den „Todesfällen bei der Ausübung des Dienstes“ kann es viele Ursachen haben. So waren es in den ersten Einsatzkontingenten im Kosovo oftmals Verkehrsunfälle mit Todesfolge, aber auch Leichtsinn im Umgang mit Waffen und Geräten. Jüngstes Beispiel war der tragische Unfall einer jungen Kadettin auf dem Segelschulschiff „Gorch Fock“ im September 2008. Immer wieder kommt es zu Dienstunfällen, die nach eingehenden Untersuchungen hätten vermieden werden können. Dem entgegen stehen die Suizide in der Bundeswehr. Ich habe die Zahlen des BMVg unmittelbar gegenüber gestellt, da das Ministerium selbst nur reine Zahlen veröffentlicht. In der Grafik wird leider auch deutlich, dass vor allem seit 1972 die Selbstmordrate von Soldaten enorm angestiegen ist. Sicherlich gibt es dazu auch andere Bezüge, da sich die Bundeswehr zu diesem Zeitpunkt noch nicht in einem Auslandseinsatz befand.
Es waren eher Gründe, die vielleicht auch politisch motiviert waren, denn bis zum 01. Juli 2011 war die Bundeswehr eine Wehrpflichtarmee. Suizide und dahingehende Gedanken sind in den meisten Fällen von außen nicht kontrollierbar. Die unterschiedlichsten Faktoren tragen bei Menschen dazu bei, sich kognitiv und emotional damit zu beschäftigen. Stress, mangelndes Selbstwertgefühl und ähnliches kann unter Umständen ein Auslöser darstellen. Die Bundeswehr versucht daher schon präventiv in der Einsatzvorbereitung darauf einzugehen und Soldaten zu sensibilisieren. Die Soldaten sollen aufeinander achten, denn jede Verhaltensveränderung kann Folgen haben.
Text: Enno Heidtmann
Zeichnungen: Vanessa Gösch