Wie ihr wisst, befasse ich mich schon seit geraumer Zeit immer wieder einmal mit den Interessen und Belangen der Kurden. Nun muss man auch wissen, dass Kurde nicht gleich Kurde ist, denn dieses ethnische Volk ohne eigenes Land ist seit dem Vertrag von Lousanne 1923 gespalten. Die damaligen alliierten Besatzungsmächte Großbritannien und Frankreich und weitere Länder wie Japan, Griechenland, Italien, Rumänien und einigen weiteren Unterzeichnern des Vertrages sahen es als gegeben an, die ethnische Kultur der Kurden zu trennen. Im 21. Jahrhundert sind die Kurden in Syrien, dem Iran, der Türkei und im Nordirak beheimatet. Stets auf der Suche nach einer autonomen und freien Entfaltung ihrer Kultur. Allerdings kennen wir aus vielen historischen Hintergründen verfolgter ethnischen Kulturen, dass sich die Wünsche oftmals nicht mit der Realität in einer Schnittmenge vereinen lassen.
Die Gründung des Staates Israel stand unter einem aus meiner Sicht ähnlichem Stern, denn für die Freiheit einer ethnischen und religiösen Gemeinschaft wurden Dritte verdrängt, verfolgt und unterdrückt. Es stellt sich daher aus heutiger Sicht die Frage, wie sich grundlegend die Gründung eines kurdischen Staates gestalten würde. Im Irak wurde dieser Schritt schon im Jahr 1970 mit dem Vertrag zwischen Saddam Hussein und den Führern der kurdischen Parteien unter Molla Mustafa Barzani vollzogen. Alle weiteren kurdischen Minderheiten im heutigen Syrien, dem Iran und in der Türkei kämpfen seither ebenfalls um ihre politische, ökonomische und religiöse Unabhängigkeit.
Der Bürgerkrieg in Syrien hat auch die Kurden dazu veranlasst, sich in die geopolitischen Angelegenheiten der betroffenen Grenzregionen einzumischen. Der anfängliche Erfolg ihres paramilitärischen Engagements steht inzwischen vor einem großen Fragezeichen. Denn auch wenn es sich um Kurden handelt, verfolgen sowohl die türkischen, als auch die iranischen, syrischen und irakischen Kurden unterschiedliche politische und ökonomische Interessen. Für unbeteiligte ist das sicherlich ein schwer verständliches Vorgehen und Handeln, doch ist hierbei die Schnittmenge aus Ökonomie und politischen Opportunismus sehr groß. Bei der Betrachtung der Interessen der unterschiedlichen kurdischen Parteien wie PKK (Türkei), PDK (Irak), YPG (Syrien) oder der PAK (Iran), wird deutlich, dass Spannung untereinander einen stark ausgeprägten politischen Charakter hat.
Für viele Kurden war und ist es vielleicht auch noch das Musterbeispiel- die kurdische Autonomieregion im Nordirak: Kurdistan. Diese Region ist reich an Erdölvorkommen, viele Clan bzw. Familienmitglieder des politischen Führers Barzani partizipieren vom wirtschaftlichen Aufschwung und den nicht zu vernachlässigenden Interessen internationaler Investoren. Die Hauptstadt der kurdischen Autonomieregion Erbil blüht, die Infrastruktur wächst und vor allem Erdölkonzerne lassen sich hier gern hofieren und mit dem politischen Oberhaupt durch die Presse ablichten. Auch europäische und nicht zuletzt deutsche Politiker ließen sich nur allzu gern in diesem Blitzlichtgewitter in der überregionalen Presse ablichten. Mir haben sich in diesem Zusammenhang viele und noch immer unbeantwortete Fragen gestellt:
Warum haben Europäer ein so starkes Interesse an der nordirakischen Autonomiebehörde?
Welche politischen Ziele werden hier eigentlich verfolgt?
Hat möglicherweise die USA und die NATO einen geostrategischen Vorteil von einer intensiven politischen Zusammenarbeit?
Warum handelt der kurdisch-politische Führer der nordirakischen Autonomie Barzani u.a. mit der politischen Führung Ankaras und Jerusalem?
Welche politischen Ziele werden mit einer absoluten Unabhängigkeit des Nordirak erreicht und welche Konsequenzen hat es für die übrigen kurdischen Gebiete?
Ich war im Jahr 2014 in Kirkuk vor Ort, als die kurdischen Peschmerga sowohl die Stadt, als auch den strategisch wichtigen Militärflughafen zurückeroberten. Zuvor flohen alle irakischen Soldaten aus Feigheit oder Opportunismus vor den Terroristen des selbsternannten Islamischen Staat. Die Menschen waren den Kurden dankbar und lediglich Mosul musste dem Kampf gegen den Terror geopfert werden. Seit einigen Tagen hat die irakische Regierung in Bagdad den Spieß umgedreht und die kurdischen Kämpfer aus Kirkuk verdrängt. Friedlich, wenn auch unter Protest. Die Stadt im Norden des Landes ist sowohl strategisch, als auch ökonomisch von Vorteil und die Vorherrschaft bedeutet auch, die Region zu regieren. Hat der kurdische Führer Barzani nur kurz zuvor ein Unabhängigkeitsreferendum durchgeführt, bei dem mehrheitlich die Kurden für einen freien Staat Kurdistan abstimmten. Viele bislang internationale Verbündete der irakischen Kurden wie Deutschland, Frankreich oder die USA haben dem Referendum entgegen gestimmt. Warum? Der Druck aus Bagdad kann sich nur marginal auf diese Entscheidung ausgeprägt haben, ist diese Regierung noch viel zu schwach, um diese weitreichenden Entscheidungen zu treffen. Es wird wohl eher der NATO-Partner aus Ankara gewesen sein, der hinter verschlossenen Türen seinen „Kampf gegen den Terror“, sowohl im eigenen Land gegen die türkisch-kurdische PKK, als auch gegen den Islamischen Staat gerechtfertigt hat. Darüber hinaus hätte man fast davon ausgehen können, dass sowohl die USA, als auch die Europäische Union dem Wunsch der Kurden entsprechen würden, zumal sie sich selbst im autonomen Staat eingebracht haben. Das amerikanische Verteidigungsministerium und auch die Bundeswehr hatten seit 2013/14 erhebliche Anstrengungen geleistet, um die Kurden militärisch und logistisch zu unterstützen.
Als jedoch vor gut drei Wochen, im September 2017 der kurdische Präsident Massoud Barzani zu einem entschlossenen Unabhängigkeitsreferendum aufrief und mit einer klaren Mehrheit diese Abstimmung gewann. Barzani hat allerdings die Rechnung ohne Bagdad, Washington, Berlin, Brüssel und Ankara gemacht, denn hierbei kam es zu keiner nennenswerten Unterstützung. Einzig aus Jerusalem kamen unterstützende Bekundungen.
Inzwischen sind irakische Streitkräfte wieder in die nordirakische Metropole Kirkuk zurück gekehrt, die erst im Jahr 2014 durch die kurdischen Peschmerga aus den Fängen des IS zurück erobert wurde. Hat das Referendum jetzt auch einen territorialen und einen damit in Verbindung stehenden Kampf um Ressourcen beginnen lassen? Wie stark wird sich Barzani verhalten, wurden Stimmen laut, die ihn als schwach und feige bezeichnet haben?
Im Zuge dieser Vorkommnisse hat die Führung der Bundeswehr reagiert und den unmittelbaren und sofortigen Abzug aller Soldaten aus dem kurdischen Gebiet angekündigt. Man wolle sich nicht in innenpolitische Auseinandersetzungen einmischen, zumal auch die Interessen gegenüber Bagdad im Raum stehen. Selbige sollen nicht die bisherigen Beziehungen stören, so einige Stimmen aus dem Bundestag.
Richtig ist, dass die Bundeswehr zahlreiche Waffen an die Kurden geliefert hat, als diese noch im intensiven Kampf gegen die Terrormiliz des IS standen. Neben den Gewehren G3 und G35 von Heckler & Koch wurden auch veraltete Waffensysteme wie die MILAN an die Kurden weitergegeben.
Jetzt zieht der Westen sein offizielles Engagement weitgehend zurück, auch wenn weiterhin Öllieferungen das Land in Richtung Westen verlassen. Lässt man also wieder einmal die Kurden mit ihrem Wunsch nach Selbstbestimmung und Autonomie allein? Aus Sicht der Kurden eine kluge Entscheidung, lässt der türkische Präsident Erdogan schon seit vielen Jahren Menschen verfolgen, denen er eine mutmaßliche Beteiligung an der kurdischen Arbeiterpartei PKK unterstellen kann. Auch die irakischen Kurden standen seitens Ankaras immer wieder unter dem Wortfeuer von Erdogan.
Wie weit und intim werden sich sowohl die USA, als auch die Europäer an Bagdad binden und somit die Kurden sich selbst überlassen? Der Schritt der Bundesregierung, sich aus einem multinationalen Engagement im Nordirak zurückzuziehen ist hierbei ein nicht unerhebliches Signal- allerdings in die falsche Richtung. Sollte jetzt noch der Wunsch geäußert werden, die Waffen und das Equipment zurückziehen zu wollen, hat auch die Glaubwürdigkeit des Westens einen noch größeren Riss erlitten.
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