Zurück im Libanon eröffnet sich mir ein neues Bild auf Beiruts Straßen. Ein paar neue Checkpoints sind hinzu gekommen, die Präsenz des Militärs ist allerdings, zumindest auf den ersten Blick gleich geblieben. In Beiruts City wehen neuerdings zahlreiche libanesische Flaggen, die es so in der Anzahl nicht gab. Ein paar große Werbebanner für den Marathon im November und Werbung für die Beirut- Rally ist zu sehen. Das Hard- Rock Café hat jüngst seine Pforten geschlossen und der Bau- Boom nimmt ungehindert seinen Lauf. Die Gespräche sind intensiver geworden und zielen schon nach kurzer Zeit auf ein und das selbe Thema ab- der Krieg in Syrien.
Jedoch fällt schon nach kurzer Zeit etwas sehr deutlich auf – die Straßenkinder in Beirut. Wo noch vor einem Jahr Erwachsene darum buhlten, die Schuhe putzen zu dürfen, sind es inzwischen die Kinder, die darum betteln, sich ein paar Münzen damit zu verdienen. Bei meinem Gang durch den Stadtteil Hamra, entlang der AUB – American University of Beirut, sehe ich Ibrahim*. Er ist einer von Vielen. Er sitzt auf einer alten Blechdose, mit dem Rücken fest an eine mit Grafitti besprühten Wand. Auf den ersten Blick macht er einen erschöpften Eindruck, doch dann höre ich sein erbarmungsloses Schluchzen und Weinen. Er nimmt niemanden um sich herum wahr, hat die schmutzigen Hände fest an sein Gesicht gepresst. Ibrahim* reagiert nicht auf mich, als ich vor ihm stehen bleibe. Vor ihm steht sein verdreckter und grob zusammen genagelter Holzkasten, in dem er ein paar Utensilien zum putzen der Schuhe stecken hat. Er verrät mir nicht, warum er weint, ob er allein hier in Beirut ist. Die unterschiedlichsten Dinge können passiert sein, dass er anstatt in der Schule zu sitzen, nun auf Beiruts Straßen Schuhe putzen muss.
Ein paar Meter weiter muss ich eine lange Treppe passieren. Sie führt hinab zur Küste. Eigentlich ist es egal welchen Weg man geht, aber ich mag es an der Promenade entlang zu laufen. Auf den Stufen der Treppe sieht man vor allem in den Nachmittag- oder Abendstunden StudentenInnen der AUB im Schatten sitzen. Jetzt sitzen dort zwei Kinder. Yussuf* und sein kleiner Bruder Hakim*. Sie sitzen schweigend im Schatten der Bäume und auch sie haben eine Holzkiste mit Putzutensilien vor sich stehen. Sie haben jeder eine alte und verrostete Blechdose dabei, auf der sie sitzen, wenn sie jemandem die Schuhe putzen. Sie reden nicht, schauen nur an mir hoch, als ich vor ihnen stehen bleibe. Beide tragen schmutzige Kleidung und ihre Hände sind dreckig von der Arbeit. Yussuf* und sein Bruder sind vielleicht gerade einmal sechs und acht Jahre alt und gehen statt zur Schule, auf die Straße, um zu betteln.
Weiter, entlang der Promenade, begegne ich den zahllosen Anglern. Schon von weitem kann man ihre langen Angeln erkennen, die sie immer wieder mitAusdauer und Akribie einholen, mit einem neuen Köder bestücken und wieder in Richtung Wasser auswerfen. Sie stehen entweder direkt oben auf der Promenade, oder aber direkt unten am Wasser. Es ist eine Art Volkssport im Libanon, also auf den ersten Blick nichts besonderes. Doch zwischen den Erwachsenen sind viele Kinder, die mit ihren viel zu großen Angeln versuchen, auch ein paar Fische zu angeln. Sie haben im Gegensatz zu den Schuhputzern ihr Lächeln nicht verloren. Sie freuen sich über jeden Fang und reden dabei auch sehr laut. Ihre Beute sind aber viel zu kleine Fische. Elie*, einer von ihnen erzählt mir, dass es kein Problem sei, diese kleinen Dinger zu fangen. Und umso mehr er davon fängt, könne er auch davon essen. Bei dieser Antwort können wir uns beide ein Grinsen nicht verkneifen – Kinderlogik eben. Die kleinen stacheligen Dinger messen zum Teil nicht mehr als 15 Zentimeter. Und in seiner Tüte zappeln schon mehr als ein Dutzend der kleinen stacheligen Dinger.
Die Kinder sind hier mehr und mehr Teil des täglichen Straßenbildes, denn immer mehr Flüchtlinge kommen aus Syrien hierher. Entgegen den offiziellen Zahlen der UN sprechen die Libanesen selbst von inzwischen mehr als 1 Mio. syrischen Flüchtlingen. Der Libanon selbst hat gerade einmal 4,4 Mio. Einwohner und das führt zunehmend zu Spannungen. Immer mehr Libanesen verlieren ihre Arbeit, denn Syrer arbeiten schon für 100 U$, ein Libanese hingegen für umgerechnet 1.000 U$. Ein Ende ist lange nicht in Sicht. Und bettelnde, verschmutzte Kinder sind das neue Straßenbild in Beirut. Sie irren durch die Straßen und versuchen Tag für Tag aufs Neue zu überleben.
*Namen geändert