Ilhan Kizilhan, Dr.rer.soc.,Diplom-Psychologe arbeitet im Bereich der Konflikt- und Friedensforschung, aber auch in den Bereichen der Migrationsforschung, der Ethnopsychologie und noch einigen anderen Themenfeldern. Er publizierte 2006 im Rahmen der Reihe der „Friedens- und Demokratiepsychologie“ sein Werk zum Thema der „Ehrenmorde“. Immer wieder kocht nach schwerwiegenden Ereignissen dieses Substantiv hoch und viele Deutsche verbinden es mit dem Islam. Es ist ein nicht direkt greifbarer Inhalt und muss inhaltlich sehr tief erarbeitet werden. Kizilhan versucht sich sehr explizit den Ursachen zu nähern. Dabei muss erkannt werden, dass es sich vor allem für mitteleuropäische Christen um Taten handelt, die nicht leicht nachvollziehbar sind.
Uta Glaubitz dokumentiert auf ihrer Webseite zum Thema „Ehrenmorde“ vollzogene Taten und aus den von ihr aktuell publizierten Daten gehen allein schon im Jahr 2012 sechs Taten hervor. Und aus den Ergebnissen ihrer Recherche geht hervor, dass es sich um Opfer und Täter muslimischer Herkunft handelt
Aber ist das schon alles an gewonnen Erkenntnissen? Was bewegt einen Menschen, einen ihm sogar nahestehende Person zu töten und was bedeutet Ehre? Sind diese Begrifflichkeiten für uns überhaupt greifbar? Reden wir darüber, als deutsche, als Mitteleuropäer und nehmen wir unsere muslimischen Mitmenschen mit all ihren Sorgen wahr?
Laut Kizilhan wird nicht nur in muslimischen Familienstrukturen von Ehre gesprochen, auch in mafiösen Strukturen wird diese Begrifflichkeit verwendet. Vor allem, um die Struktur weiterhin zusammen zu halten und um entsprechende Bestrafungsritualien zu rechtfertigen. Entsprechend der Herkunft kann in diesem Zusammenhang der Begriff Ehre unterschiedlich verstanden und auch interpretiert werden. Aber nicht nur muslimische, sondern auch russische Herkunftsformen dieser Ehrbegriffe spielen international bei Straftaten eine wesentliche Rolle.
Wichtig ist bei der Betrachtung der Rückblick an die Wurzeln, an die Orte im Nahen Osten, Nordafrika, dem alten Persien, Afghanistan, an denen die Formen der patriarchalisch- archaischen Vorstellungen ausgeprägt sind. Vor Jahrhunderten lebten die Menschen in Sippen, Stämmen und Clans zusammen, mussten sich innerhalb ihres Gefüges um den Erhalt des Lebens bemühen. Landwirtschaft und Viehzucht sicherte das Überleben und die bestehenden Strukturen mussten gesichert werden. Werte und Normen wurden nicht allein durch die Religion geprägt, sondern auch durch die über Generationen geprägten Überlieferungen. Kizilhan beschreibt dazu folgendes Interview eines 76-jährigen Mannes:
„Ich habe seit meiner Kindheit Angst, etwas falsch zu machen. Überall wird man beobachtet, dass man nichts Falsches macht. Im Dorf war auch die Kleidung wichtig. Alles musste den Wünschen der Älteren entsprechen. Allein die Blicke von einigen Leuten verfolgen mich heute noch. Wenn ältere Personen ins Haus kamen, musste ich aufstehen und ihnen die Hand küssen. Wenn die Soldaten kamen, hatte ich Angst, auch die Älteren. Auch heute noch werde ich unsicher, wenn jemand aggressiv und autoritär auftritt. Ich habe so viel Leid, Kummer und Tode gesehen…das sitzt einfach sehr tief..“(Interview/ Kizilhan, 2004)
Neben den Ängsten gab und gibt es nach wie vor auch die Faszination der öffentlichen Bestrafung. Fälschlicherweise wird vor allem im Islam die Sharia dazu herangezogen und erzeugt vor allem bei den Rezipienten in Europa Neugierde und Abneigung. An dieser Stelle sei noch einmal erwähnt, dass auch der Schleier bei Frauen in streng muslimischen Regionen eine Faszination und Abneigung erzeugen. Aber letzteres liegt eher daran, dass vor allem christlich erzogene Menschen nicht nachvollziehen können, dass der Koran entsprechende Verhaltensregeln vorgibt. Historisch betrachtet lebten und leben die Menschen in Gegensätzen! Fastenzeiten, verschiedenen Festen und vor allem den verschiedenen Jahreszeiten. Menschen wurden in diesen genannten Regionen immer wieder im Verlauf der Jahrhunderte mit Kriegen und Katastrophen konfrontiert, was letztlich dazu führte, das vor allem familiäre Strukturen fest zusammen wuchsen. Vor allem bei Kriegen und Stammeskämpfen war die Verteidigung der Familie primäres Ziel gewesen.
Aus dieser Form der Verteidigung erwuchsen natürlich auch Formen der Bestrafungen, allerdings wurden diese nur mit wenig Argwohn betrachtet, wohl eher toleriert und akzeptiert. Diese Verhaltensformen prägen noch heute viele verschiedene Gesellschaften und kann bis hinunter zu den Formen der Familien beobachtet werden. Vor allem Männer obliegt das Recht der Sprache und Verhandlungen, Frauen werden auch heute noch, auch in Deutschland als „minderwertig“ betrachtet und behandelt. Aber auch die verbotene türkische Arbeiterpartei PKK ist nicht sozial orientiert und fördert Angst und Verbrechen. Aus einem Interview gehen folgende Informationen hervor:
„Die Mehrheit der Anhänger der PKK- Anhänger sind einfache Leute. Sie sind feudalistisch geprägt und sehen immer noch die Frauen als Menschen zweiter Klasse an. Bestimmte feudale Verhaltensweisen waren auch von der PKK übernommen worden. Frauen durften ihre Weiblichkeit nicht zeigen. Ich habe dauernd weite Blousons oder Pullover getragen. Sogar im Sommer habe ich eine Jacke angehabt, damit Leute die Form meiner Brüste nicht sehen. Eine sexuelle Beziehung zu einem Mann war verboten und wurde hart bestraft. Wir mussten zwar kein Kopftuch tragen, da die PKK ja sozialistisch war, aber viel besser war das auch nicht..“(Interview- Kizilhan)
Diese Erkenntnis führt dazu, noch kritischer von Europa nach Afrika und Asien zu schauen. Nach einem persönlichen Gespräch in Hamburg mit einer ägyptischen Frau, zum Thema Vergewaltigung im Islam kamen auch interessante Inhalte zu Tage. Ergebnis war, dass vor allem Frauen in einem diktatorischen System Sicherheit empfinden. Verschleierung sei für sie ein Schutz und ohne diesen, wären sie vor allem im Iran und Irak lediglich „Freiwild“ der Männer. Der Kreis schließt sich an dieser Stelle nicht, denn unzählige Faktoren müssen zur Frage der „Ehrenmorde“ betrachtet werden. Wissenschaftliche Studien sind natürlich dafür verantwortlich, all diese Faktoren zu erklären, aber verständlich sind sie dennoch nicht, vor allem nicht für christlich orientierte Europäer. (eh) (Ilhan Kizilhan, Ehrenmorde, Verlag Irena Regener 2006)