Der US- amerikanische Soldat und Unteroffizier Robert Bales (38) sorgt seit dem 11. März 2012 nicht nur für Schlagzeilen, sondern auch verstärkt für Unruhen und Übergriffe der radikal islamistischen Taliban in Afghanistan. Ziele sind inzwischen nicht mehr die afghanische Bevölkerung, denn seit der Bluttat von Bales richten sich die Aggressionen verstärkt gegen ISAF-Truppen. Aber was ist eigentlich passiert? Ist es wirklich nur einem einzigen Mann zu „verdanken“, dass scheinbar die gesamte afghanische Bevölkerung ihren Unmut den „Befreiern“ Afghanistans gegenüber zeigt?
Ich möchte an dieser Stelle dringend darauf hinweisen, dass ich nicht dazu geneigt bin, hier eine Verschwörungstheorie zu entwickeln. Vielmehr sind mir speziell in diesem Fall einige Ungereimtheiten aufgefallen. Zudem kommt mir hier meine langjährige militärische Vergangenheit zugute, um eine bessere Analyse durchführen zu können. Ich möchte versuchen, den Gesamtzusammenhang herzustellen, damit klar wird, was passiert ist, mit welchen Folgen und vor allem mit welchen offenen Fragen.
Wie es bei dem US- Militär in den Auslandseinsätzen üblich ist, werden die eingesetzten Soldaten im Einsatzland für neun bis zwölf Monate verpflichtet. Als direkter Vergleich gehen die Soldaten der Bundeswehr seit dem Jahr 2005 nur noch für eine Dauer von 4,5 Monaten in den Einsatz, ausgenommen Marine und Einheiten, wie OMLT (Operational Mentor and Liaison Teams). Getrennt von Familie und Freunden, in einem fernen und fremden Land, in dem man als Soldat nicht direkt erkennt, welche Auswirkung und vor allem Hilfe der Einsatz für die Menschen verspricht. Als betroffener ehemaliger Soldat kann ich für mich persönlich bestätigen, dass ich bis heute keinen tieferen Sinn an dem Einsatz in Afghanistan erkannt habe. Sicherlich ist auch der Soldat Bales mit einer anderen Erwartungshaltung nach Afghanistan gekommen. „Einsatzerfahren“ würden ihn Vorgesetzte der Bundeswehr nennen, denn schon vor seiner Dienstzeit am Hindukush wurde er dreimal im Irak eingesetzt. Unvorstellbar, diese Entbehrung und Leistung, fernab der Familie, Heimat und der Freunde. Beide Länder sind nicht damit gesegnet worden, als Urlaubsland im TUI- Reisekatalog betitelt zu werden, denn hier herrscht die Angst, der Terror und der Tod über die Menschen. Bales hätte es also nach seiner Einsatzzeit im Irak verdient, nicht mehr im Ausland eingesetzt zu werden, wurde dennoch erneut für einen weiteren Einsatz verpflichtet. Die damit verbundene psychische Belastung ist ganz klar gegeben und deren Folge könnte mutmaßlich der Amoklauf gewesen sein.
In den vergangenen Publikationen des FOCUS, bei tagesschau.de, Spiegel-Online, oder Süddeutsche.de wurde versucht, den Hintergrund der Tat näher zu beleuchten. Für mich hatte es lediglich immer wieder neue Fragen aufgeworfen. Es handelt sich hier also um einen gestandenen Mann und Soldaten, der nicht nur lebenserfahren, sondern auch einsatzerfahren ist, um nicht zu sagen, der kennt den Tod. Ein besonnener, freundlicher Mann also? Um die ungewollte Psychoanalyse an dieser Stelle abzukürzen, komme ich direkt zur „1 Mio- Dollar“ Frage: Wie kam es zur Tat?
Jeder Soldat, der einen Teil seiner Dienstzeit in einem fremden Land verbracht hat weiß, dass jedes Camp, Feldlager etc. gut gesichert ist. Egal ob durch eine HESCO– Wall, durch militärische Wachen, oder andere Sicherheitsmaßnahmen. Es gibt inzwischen sogar schon die Fingerprint Identification in Afghanistan, um einen direkten Datenabgleich mit der Datenbank des CIA durchführen zu können. Zudem gibt es in den Einsatzländern einheitliche NATO- Dress-/ und Vehicle- Codes. Je nach Sicherheitslage wird dann den Soldaten durch die OPZ (Operationszentrale) vorgeschrieben, wie sie sich zu kleiden, bewaffnen und ihre Fahrzeuge zu besetzen haben. Speziell in Afghanistan war es in meiner eigenen Einsatzzeit generell wie folgt geregelt:
– Splitterschutzweste muss getragen werden
– Schutzhelm am Mann
– Waffe geladen und gesichert
– mindestens zwei gepanzerte Fahrzeuge dürfen das Gate verlassen
Die Gates der ISAF- Truppen sind nach jahrelanger Erfahrung immer wieder bestens ausgebaut und das wachhabende Personal geschult worden. Dem Soldaten und US- Unteroffizier Robert Bales wird unterdessen vorgeworfen, einen Amoklauf begangen zu haben, bei dem er allein, vermutlich betrunken und bewaffnet das Gate des US- Camps verlassen haben soll. Nach dem ich im Vorfeld schon erklärt habe, dass es u.a. in Afghanistan bestimmte Regeln gibt, an die sich alle Soldaten zu halten haben, kommt mir die Geschichte des „einzelnen“ Täters sehr fraglich vor. Denn vor allem in den Nachtstunden verlassen nur spezielle Einheiten das sichere Feldlager, um in der näheren Umgebung operieren und aufklären zu können. Wie ist es also dem Einzeltäter Bales gelungen, vermutlich betrunken* und bewaffnet das Camp zu verlassen? Selbst wenn er einer Spezialeinheit angehört, würde er niemals allein das Camp für eine Operation verlassen. Er selbst gab inzwischen über seinen Anwalt bekannt, sich nicht mehr an die Tat erinnern zu können. Waren weitere Personen bei ihm und warum hatte die Wache nicht reagiert und ihn passieren lassen?
Nachdem der eigentliche Gedanke, in Afghanistan für Demokratie und Stabilität zu sorgen, auch nach über zehn Jahren nicht erfolgreich umgesetzt wurde, kann auch Amerika diesen Einsatz nicht weiter rechtfertigen. Der Einfluss der Taliban in diesem Land ist unbestritten und der Wille, sich gegen die „Eindringlinge“ durchzusetzen, ungebrochen. Hat die Tat von Robert Bales den früheren Abzug der amerikanischen Streitkräfte zur Folge? Nach dem Einsatz im Irak, der Wirtschafts- und Bankenkrise ist Amerika vor allem Müde geworden. Viel zu viel Soldaten ließen ihr Leben. Kam es also zum Amoklauf, weil Bales psychisch so stark belastet war und durchdrehte? Bleibt dabei die Frage offen, ob er wirklich allein war und wie er das Camp verlassen konnte. Oder war es eine gezielte und geplante Tat, um eine Verkürzung der Mandatszeit zu bewirken und um früher aus Afghanistan abziehen zu können? Will Amerika seine Truppen abziehen, um sie gebündelt gegen den Iran zu positionieren? Vielleicht ist Bales das Opferlamm, um politisch weitreichendere Entscheidungen durchsetzen zu können. (eh)
* Nach Aussage des Anwalts John Henry Brown soll Bales zur Tatzeit nicht betrunken gewesen sein.