Es könnte eine Verfilmung sein, vielleicht etwas mittelalterliches? Nein, es ist aktuell, hautnah und es scheint kein Ende zu nehmen. Die Rede ist von Flüchtlingen, die in Afrika und Syrien versuchen, ihr Leben und das ihrer Kinder, Frauen, Mütter, Väter und Geschwister zu retten. Ramiye spricht, versteckt hinter ihrem Kopftuch, sie möchte sich nicht zeigen, vor allem aus Angst vor der Verfolgung. Sie kommt wie viele andere aus dem Camp, aus der Region um Homs, einer der syrischen Metropolen, die durch das Militär von Bashar al- Assad bombardiert wurde. Sie lebten in einem kleinen Haus, sie, ihr Mann und ihre sechs Kinder. Der jüngste, sagt sie mit lauter Stimme und erhobenem Finger, sei doch gerade einmal eineinhalb Jahre alt gewesen. Er wurde in einer Nacht, während die Luftwaffe die Stadt wieder einmal bombardierte, getötet. Sie schlossen sich Freunden und Nachbarn an, um das Land zu verlassen. „Sieh her, wie wir hier leben müssen“, sagt sie und zeigt auf das Zelt, den nackten Boden unter ihren Füßen. Ramyie lebt wie viele andere Familien im Libanon in einem Camp, welches nicht offiziell von der UN anerkannt wurde. Die UN- Flüchtlingsorganisation UNHCR ist mit der Situation hoffnungslos überfordert und kann inzwischen nur noch temporär Hilfe und Unterstützung leisten. Im Libanon, in dem gerade einmal 4,4 Mio. Libanesen leben, hinzu kommen seit mehreren Jahrzehnten die knapp 500.000 palästinensischen Flüchtlinge und Ende 2013 sind es nach zwei Jahren Bürgerkrieg in Syrien fast über 2 Mio. syrische Flüchtlinge im Land. Aber wohin? Viele, mit denen ich sprach, wollen so schnell es geht wieder zurück in ihre Heimat. Andere haben Angst, nicht nur vor den Truppen und dem Geheimdienst von Basar al-Assad, sondern immer mehr vor den radikal islamistischen Terrorgruppen. Meine Fahrt zu den Flüchtlingen führt mich von Beirut über das Gebirge in die Bekaa- Ebene, die schon seit 60 v.Chr. bevölkert ist. Es ist von Beirut aus auch die einzige Route, um nach Syrien und direkt nach Damaskus zu gelangen. Nachdem man das kalte Gebirge verlassen hat und sich talabwärts bewegt, erstreckt sich rechts des Highway eine Tal- und Gebirgslandschaft. Und hinter dem Bergkamm ist Syrien, zum Greifen nahe. Auf dem Weg in die Ebene muss man mehrere militärische Checkpoints passieren, die inzwischen auch durch Panzer der libanesischen Armee verstärkt wurden.
Die Route, die mein Fahrer und ich nehmen, führt uns in die Region um Zahlé, sie ist neben Baalbek die größte Region in der Bekaa- Ebene. Schon wie vor knapp dreitausend Jahren dominiert hier der Feldbau, der landwirtschaftliche Motor des Landes. Je weiter man in die Ebene fährt, umso mehr syrischen Fahrzeugen begegnet man. In einigen Augenblicken dachte ich sogar, wir hätten die Grenze überschritten. Entlang der zahlreichen Dörfer, reihen sich inzwischen Flüchtlingscamp an Flüchtlingscamp. Die Bauern hier haben den Flüchtlingen Land abgetreten, damit sie darauf ihre Zelte aufbauen können. Es scheint kein Ende zu nehmen, zwischen dem Grün der Felder erblickt man immer wieder weiße und braune Zelte, die eher einem Slum gleichen. Man sieht kaum Menschen, wenn man dicht an ihnen vorbei fährt, alles scheint wie ausgestorben. Nach einigen Minuten fährt mein Fahrer links an ein Geschäft, welches einsam an der Straße stehen würde, wären hier nicht ringsherum die Zelte der Flüchtlinge. Ich bleibe sitzen und warte geduldig bis ich mein Zeichen von ihm bekomme. Er spricht mit dem Ältesten und fragt um Erlaubnis, dass ich in ihrem Camp drehen und recherchieren darf. Einer der fünf Männer nickt und Sahim gibt mir das Zeichen zum aussteigen. Die Ausrüstung lasse ich zunächst im Wagen und gehe auf die Männer zu. Ich begrüße sie mit meinem wenigen Arabisch:“Kaya Háal-ak?“ sage ich (Wie geht es Dir?) und er antwortet:“bi-xayr“ (Gut). Wir gehen gemeinsam durch das Lager und immer an meiner Seite- die Kinder. Für sie bin ich wahrscheinlich die Abwechslung des Jahres und sie lachen und feixen miteinander, wenn ich versuche in Ruhe Bilder zu machen. Ich muss mir viele Zelte anschauen, wie sie hier leben. Sie stehen auf dem nackten und inzwischen schon betonhart getretenen Boden. Einige haben aus Brettern ein Bett gebaut, damit die Kinder nicht auf der kalten Erde liegen müssen. Keine Stühle, keine Teppiche, kein WC. Ihre Bekleidung, die sie auf der Flucht bei sich trugen, haben sie alle sorgsam aufeinander gestapelt. Wie es ihnen hier geht, frage ich einen der Männer. „Wir leben hier schlechter als die Tiere! Niemand kommt zu uns, kein Arzt, der sich um die Kinder kümmert!“ Seine Stimme wird lauter und seine Worte direkter. Er wirft der UN und der europäischen Union vor, dass sie sich nicht um die Menschen kümmern, die die Hilfe dringend nötig haben. Die Kinder haben keine Schulbildung mehr, sie spielen mit dem Müll, den sie zwischen den Zelten finden, sie erhalten keine Impfungen und wenn es einem der Kinder schlecht geht, wissen sie nicht, wie sie den Arzt bezahlen sollen. Ich frage ihn, ob er vielleicht in Deutschland Freunde oder Verwandte hat, die auch geflohen sind, oder schon länger dort leben. Er verneint und sagt, wenn er es könnte, er würde nach Deutschland gehen. Was er nicht weiß, dass die Bundesregierung den Flüchtlingen nicht immer die volle Aufmerksamkeit zukommen lässt, wie es diese schwer traumatisierten Menschen verdient haben. In Hamburg und Berlin gehen seit einigen Tagen immer mehr Menschen auf die Straße, um für diese Menschen zu kämpfen. Immer wieder hört man „Solidarität“, aber wo ist sie? Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) hält sich strickt an geltendes EU- Recht und Innensenator Neumann will im Bezug auf die Lampedusa- Flüchtlinge das Ruder nicht aus der Hand geben. Welches ist der richtige Weg, um zum einen die Kraft von Recht und Gesetz nicht zu verlieren und auf der anderen Seite den Menschen Hilfe zukommen zu lassen, die es dringend nötig haben? (eh)