JournalistenInnen berichten täglich über aktuelle, relevante, spannende, lustige und auch schreckliche Themen. Schwierig wird es, wenn die Recherche an seine Grenzen stößt. Wenn es sich um sensible Inhalte handelt, die schon zu Beginn der Arbeit eine Abwägung benötigen. Sexualverbrechen und deren Opfer und Täter, Verkehrsunfälle mit Verletzten und Toten oder die Gesichter des Terrors. Was sind eigentlich die Grundlagen einer Abwägung? Wer entscheidet wie entschieden wird? Wer sagt, das Bild darf man zeigen und jenes nicht? Genügt mein persönliches Bauchgefühl, meine moralischen und ethischen Grundwerte bei einer Beurteilung? Ich habe es oft erlebt, wenn ich als Videojournalist oder Fotograf über lokale Ereignisse berichtet habe, vor allem bei Einsätzen von Rettungskräften und von Demonstrationen. Wie viel Bild darf es denn nun sein? Platt gesagt, ich habe zunächst einmal alles aufgenommen was ich bekommen konnte, denn oft blieb nicht genügend Zeit um sich in Position zu bringen und um darüber nachzudenken was jetzt in diesem Augenblick durch das Persönlichkeitsrecht eingeschränkt wurde. Nicht selten blieben nur wenige Sekunden um eine Entscheidung zu treffen das richtige Bild aufzunehmen. Erst danach, zu Hause am Schreibtisch oder in der Redaktion, beim Sichten des Materials wurde eine Entscheidung getroffen. Aber genau das wird nicht selten vernachlässigt oder darüber diskutiert, ob nicht doch dieses Bild relevant für eine Geschichte ist.
Welche Grundlagen gibt es für die journalistische Arbeit? Zunächst einmal ist es ähnlich wie bei einer Gesetzgebung. Als oberste Instanz muss das Grundgesetz genannt werden, denn in ihm sind die Grundwerte und Grundrechte der BürgerInnen der Bundesrepublik Deutschland verankert und dienen auch Journalisten bei einer Entscheidung.
Artikel 2 GG
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.Artikel 5 GG
(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.Pressekodex – Ziffer 4: Grenzen der Recherche
Bei Unglücksfällen und Katastrophen beachtet die Presse, dass Rettungsmaßnahmen für Opfer und Gefährdete Vorrang vor dem Informationsanspruch der Öffentlichkeit haben.
Aber das allein genügt oft nicht bei der Entscheidung. Bei dem Nachrichtenbeitrag eines lokalen Fernsehsenders wurde darauf geachtet, dass z.B. keine Kennzeichen der Unfallbeteiligten und keine Gesichter der Verletzten zu sehen waren. Bei Einsatzkräften ist es in der Regel sehr einfach. Wenn nicht ausdrücklich darum gebeten wird, die Gesichter der Rettungskräfte nicht zu zeigen, dann können diese veröffentlicht werden. Allerdings hat der Journalismus noch weitaus mehr Facetten als die lokale Berichterstattung über einen Verkehrsunfall. Die Arbeit von Journalisten bei der Geiselnahme von Gladbeck im August 1988 wurde erstmals zum öffentlichen Vorwurf gemacht. In der Dokumentation des WDR wird das Versagen von journalistischen Grundsätzen beschrieben.
Pressekodex – Richtlinie 8.2 Schutz der Persönlichkeit – Opferschutz
Die Identität von Opfern ist besonders zu schützen. Für das Verständnis eines Unfallgeschehens, Unglücks- bzw. Tathergangs ist das Wissen um die Identität des Opfers in der Regel unerheblich. Name und Foto eines Opfers können veröffentlicht werden, wenn das Opfer bzw. Angehörige oder sonstige befugte Personen zugestimmt haben, oder wenn es sich bei dem Opfer um eine Person des öffentlichen Lebens handelt.Pressekodex – Richtlinie 11.2 Sensationsberichterstattung – Berichterstattung über Gewalttaten
Bei der Berichterstattung über Gewalttaten, auch angedrohte, wägt die Presse das Informationsinteresse der Öffentlichkeit gegen die Interessen der Opfer und Betroffenen sorgsam ab. Sie berichtet über diese Vorgänge unabhängig und authentisch, lässt sich aber dabei nicht zum Werkzeug von Verbrechern machen. Sie unternimmt keine eigenmächtigen Vermittlungsversuche zwischen Verbrechern und Polizei. Interviews mit Tätern während des Tatgeschehens darf es nicht geben.
Die Branche ist nicht ganz unschuldig daran! Es geht mehr denn je um das Bild, um die Schlagzeilen. Jeder will der Erste sein und um sich auf dem Markt zu positionieren ist es eine der gängigen Praktiken ganz nah am Geschehen zu sein. Niemand möchte sich die Blöße geben, nicht davon zu berichten, oder vielleicht gar nicht vor Ort gewesen zu sein. Immer wieder werden Rügen des Presserates erteilt, weil sich Redaktionen nicht an allgemein gültige Vorgaben gehalten haben, oder ohne ausreichende Prüfung des Sachverhaltes oder der Inhalte. Am 07. Januar 2015 wurde in Paris ein Anschlag auf die Mitarbeiter des Satire-Magazins „Charlie Hebdo“ verübt. Bei dem Attentat und der anschließenden Geiselnahme kamen insgesamt 18 Menschen ums Leben. Auch hier hat es Eingriffe der Presse gegeben, die für die Beteiligten Menschen der Geiselnahme folgenschwer gewesen wären. Nur dem Zufall ist es zu verdanken, dass nicht schlimmeres daraus resultierte.
Wenn wir noch einen Schritt weiter gehen, zur Krisen- und Kriegsberichterstattung, dann finden wir auch dort zunehmend Bilder und Videos, die so nicht gezeigt hätten werden dürfen. Der Bürgerkrieg in Syrien und auch der zunehmende Terror des IS (Islamischer Staat) im Nahen Osten ist vielen ein Begriff und die Berichterstattung begleitet uns nicht nur in den Medien. Vor allem in den sozialen Netzwerken wie Twitter und Facebook werden Bilder und Videos geteilt und zum Teil wohlwollend durch die Community kommentiert. Bilder, an die ein Journalist nie kommen würde, da er sich bei der Arbeit in Lebensgefahr bringen würde. Am 19. August 2014 wurde der US-amerikanische Journalist James Foley nach einer zweijährigen Geiselhaft in Syrien durch Terroristen hingerichtet. Bilder und auch Videos gingen davon um die Welt- unzensiert und ungepixelt. Ebenso unzensiert wurden und werden Akte der Grausamkeit (zum Beispiel Bilder von Hinrichtungen im Irak 2014) durch Terroristen der IS verbreitet, um Schrecken zu verbreiten. Inzwischen wird immer wieder die Frage diskutiert, inwiefern darf oder soll man Bilder vom Terror eigentlich veröffentlichen? Ab wann bietet man damit dem Terror eine Plattform an? Dazu heißt es zur Orientierung im Pressekodex:
Pressekodex – Ziffer 8 – Schutz der Persönlichkeit
Die Presse achtet das Privatleben des Menschen und seine informationelle Selbstbestimmung. Ist aber sein Verhalten von öffentlichem Interesse, so kann es in der Presse erörtert werden. Bei einer identifizierenden Berichterstattung muss das Informationsinteresse der Öffentlichkeit die schutzwürdigen Interessen von Betroffenen überwiegen; bloße Sensationsinteressen rechtfertigen keine identifizierende Berichterstattung. Soweit eine Anonymisierung geboten ist, muss sie wirksam sein.StGB § 131 – Gewaltdarstellung
1) Wer Schriften (§ 11 Abs. 3), die grausame oder sonst unmenschliche Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder menschenähnliche Wesen in einer Art schildern, die eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten ausdrückt oder die das Grausame oder Unmenschliche des Vorgangs in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellt,
1. verbreitet,
2. öffentlich ausstellt, anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich macht,
3. einer Person unter achtzehn Jahren anbietet, überläßt oder zugänglich macht oder
4. herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält, anbietet, ankündigt, anpreist, einzuführen oder auszuführen unternimmt, um sie oder aus ihnen gewonnene Stücke im Sinne der Nummern 1 bis 3 zu verwenden oder einem anderen eine solche Verwendung zu ermöglichen,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer eine Darbietung des in Absatz 1 bezeichneten Inhalts durch Rundfunk, Medien- oder Teledienste verbreitet.
(3) Die Absätze 1 und 2 gelten nicht, wenn die Handlung der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte dient.
Mir persönlich ist kein Fall bekannt bei dem eine Anklage gegen eine Redaktion erhoben wurde, dennoch ist dieser Paragraph eine ebenso wichtige Orientierungshilfe bei der Entscheidung, ob bestimmte Inhalte einen relevanten Charakter besitzen und gezeigt werden müssen. Bei der Betrachtung der Inhalte ist allerdings auch zu berücksichtigen, dass diese in keiner Weise Zusammenhänge verharmlosen, verherrlichen oder dabei die Menschenwürde verletzen. Der Gesetzgeber versteht in diesem Bezug unter einer „grausamen Schilderung von Gewalttätigkeiten“ solche, die bei einem normalen Betrachter Schrecken, Widerwillen und Abscheu hervorruft (BT-Drucks 10/2546, 22f)
Bei der Suche nach einer Entscheidung sollten die Dimension des Qualitätsjournalismus durch die folgenden Faktoren getragen werden:
- Aktualität,
- Informationsgehalt,
- Nutzwert,
- Transparenz (Offenlegung von Quellen, Eingeständnis von Fehlern).
Als Journalist muss man sich auch die Frage stellen, welche Reichweite eine Veröffentlichung hat, also ob der Inhalt Merkmale aufweist, den Rezipienten zu verwirren oder sogar Angst zu schüren. Vor allem Bilder vom Terror können diese Ängste schüren oder sie verstärken. Aber auch die Krise in der Ukraine hat schon zu einem Eklat bei den öffentlich-rechtlichen Medien geführt und an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Niemand ist hierbei in der Lage, klare und eindeutige Grenzen zwischen den Konfliktparteien aufzuzeigen. Der Journalist soll informieren, kritisieren und Meinung bilden, alles im Auftrag der Gesellschaft. Er ist eine feste Säule im demokratischen Haus der Verfassung, um den Mächtigen auf die Finger zu schauen und um ein Treuhänder des Bürgers zu sein und nicht als Sprachrohr der Politik zu dienen.
Weiterführende Literatur zu diesem Thema:
- Fechner/ Mayer (2011): Medienrecht. Vorschriftensammlung;C.F.Müller
- Schneider/ Raue(2012): Das neue Handbuch des Journalismus und des Online-Journalismus; Rowohlt Taschenbuch Verlag Hamburg
- Bilke, Nadine (2008): VS Verlag für Sozialwissenschaften; Wiesbaden; Qualität in der Krisen- und Kriegsberichterstattung – Ein Modell für deinen konfliktintensiven Journalismus.
- Gaus, Bettina (2004): Campus Verlag GmbH; Frankfurt/ Main; Frontberichte – Die Macht der Medien in Zeiten des Krieges.
- Vocer: http://www.vocer.org/category/dossiers/qualitaet-im-journalismus/; aufgerufen am 16.02.2015
- Journalistik: http://journalistik-journal.lookingintomedia.com/?p=948; aufgerufen am 16.02.2015
- EIJC- Ethik in den Medien: http://www.journalismusforschung.de/ethik-in-den-medien/; aufgerufen am 16.02.2015
- DFJV-Deutscher Fachjournalisten Verband: https://www.dfjv.de/ueber-uns/ethik-kodex; aufgerufen am 16.02.2015