Dass der Konflikt in Syrien zu immer neuen Schlagzeilen führt, muss ich sicherlich nicht sonderlich betonen. Erst heute wurde der Kollege und ARD- Korrespondent Jörg Armbruster in Aleppo bei einem Feuergefecht verwundet. Niemandem ist zum jetzigen Zeitpunkt klar, wohin dieser Konflikt führt. Das Aufbegehren in den arabischen Staaten, welche vom „arabischen Frühling“ betroffen sind oder waren, haben längst nicht solche Ausmaße gezeigt, wie in Syrien. Kaum ein Machthaber und Diktator hat bisher in vergleichbarer Art und Weise sein eigenes Volk bekämpft, wie es Bashar al Assad tut. Natürlich gibt es vergleichbare Gräueltaten in der Geschichte der arabischen Länder, aber Syrien hat die Brandmarke überschritten. In vorrangegengen Texten habe ich mich auch schon ausführlicher darüber geäußert, welche besondere Rolle Syrien neben dem Iran im Nahen Osten einnimmt. Ich habe es auch schon oft erwähnt, dass inzwischen nicht nur die Rebellen der Opposition gegen die Regierungstruppen von Bashar al Assad kämpfen, sondern viele Splittergruppen, radikal- islamistische Terrorgruppen, die der Al Kaida nahe stehen und auch kurdische Kämpfer.
An dieser Stelle wäre es falsch, gerade letztere außer Acht zu lassen. Erst in den vergangenen Wochen gab es sogar im Irak Feuergefechte, ausgehend von kurdischen Kämpfern. Der Verband der Kurden, der seit Dezember 2012 auf Seiten der Freien Syrischen Armee kämpft, ist inzwischen 2.700 Mann stark. Der kurdische Rat in Syrien, der gegen Assad kämpft, hat zwei Kampfeinheiten: die Liwa al’Adl und die Liwa Salah al-Din, benannt nach dem berühmten kurdischen Führer Saladin, der im Jahr 1187 die Kreuzfahrer bei Hattin in der Nähe der heutigen israelischen Stadt Tiberias schlug. Mehrere hundert Männer sind darüber hinaus in sogenannten Schläferzellen organisiert, die in den wichtigsten Kurdenstädten vertreten und bereit sind, gegen die PKK zu kämpfen, wenn es sein muss. Während die PKK im Nachbarstaat Türkei seit einem Vierteljahrhundert mit Waffen gegen die türkische Armee für ein unabhängiges Kurdistan kämpft, wird sie in Syrien als Verbündeter der Diktatur gesehen. Tatsächlich ist die PKK ein alter Bekannter des Hauses Assad. Ihr Gründer Abdullah Öcalan lebte von 1980 bis 1998 in Damaskus, bis er das Land verlassen musste und von den Türken in Kenia verhaftet wurde. In den Folgejahren rissen die Kontakte zwischen der PKK und dem Regime nie ganz ab. Als im Herbst 2011 in Syrien der bewaffnete Aufstand, der überwiegend von arabischen Sunniten getragen wurde, losging, kam es zu einer Übereinkunft zwischen Assad und der PKK, um eine zweite Front mit den Kurden zu vermeiden. Das Regime zog sein Militär aus den kurdischen Zonen im Nordosten zurück und überließ der PKK und ihrem syrischen Ableger, der Partei der Demokratischen Einheit (PYD), die militärische Kontrolle.
Der türkische Präsident Erdogan hat über Jahre hinweg geheime Verhandlungen mit dem in Haft sitzenden PKK- Führer Özalan geführt. Jetzt ist es amtlich- Özalan hat seine Anhänger zum Waffenstillstand aufgerufen, welcher auch offiziell bestätigt wurde. Erdogan will die Türkei endlich nach jahrelanger Gegenwehr zum europäischen Mitgliedsstaat machen, bisher ohne Erfolg. Denn die EU, vor allem auch die deutsche Regierung, hat immer wieder mit Nachdruck darauf hingeweisen, dass es zu einer friedlichen Lösung zwischen der türkischen Regierung und den Kurden kommen muss. Die Zeichen stehen also schon einmal nicht schlecht, in Anbetracht der öffentlichen Bekanntgabe Özalans, die Waffen niederzulegen. Wird es zukünftig ein von Kurden bestimmtes autonomes Gebiet in der Türkei geben? Vieles deutet darauf hin und innen- wie auch außenpolitisch stehen die Zeichen in der Türkei für Veränderungen.
Alle kämpfenden Gruppen in Syrien ziehen also nicht auschließlich gegen Assad in den Kampf. Vielmehr ist es der Kampf um die zukünftige Stellung im Nahen Osten. Natürlich nicht nur, denn das Streben nach Freiheit, Gleichberechtigung und Anerkennung ist nach wie vor primäres Ziel der Rebellen in Syrien. Neben ihnen buhlen die Muslimbrüder, die Kurden, die Hesbollah, die Salafisten und Al Kaida- nahe Kämpfer um ein Stück vom Kuchen, sollte Assad fliehen, aufgeben oder sogar getötet werden. (eh)