Einige Hunde betteln während ich beim Essen sitze. Einem davon wurden scheinbar als Welpe die Ohren komplett abgeschnitten und sein Fell ist rauh und struppig. Die Einheimischen scheuchen sie immer wieder weg, notfalls auch mit Steinen oder Stöcken. Ich bin in Sochi, der Stadt am Schwarzen Meer, der Stadt Russlands, die die Aufmerksamkeit der Welt schon einmal auf sich gelenkt hatte. Olympia 2014 hatte mehr als nur eine Schlagzeile weltweit hinterlassen und am vergangenen Wochenende war es wieder so weit- Formel 1 in Russland. Aber zu groß sind die Kontroversen in dieser Region, zu groß die Unterschiede und vor allem die Absurditäten. Ich bin einige Tage vor und nach dem Event in der Gegend und beobachte, dass ich nicht in einem Hotel, sondern in einer Geisterstadt wohne. Die Anlage besteht aus mehr als zehn mehrstöckigen Häusern, einem großen Pool, zwei großen zentralen Küchen und mehreren Restaurants, die aber an Service und Qualität zu wünschen übrig ließen. Die Gehwege scheinen ebenso hastig fertig gestellt worden zu sein, denn abgesehen vom gepflasterten Rand des Bordsteines wurde der Rest in der gesamten Anlage einfach mit Beton ausgegossen. Fußgängerüberwege wurden vor den Eingängen der Häuser großzügig markiert, doch führen sie auf der einen Seite ins Nichts und zum Hauseingang versperrt ein ein Meter hoher Bordstein den Zugang zur Drehtür. Putins Plan ist aufgegangen, Russland konnte durch die teuerste Olympiade aller Zeiten glänzen, doch beginnt der Glanz inzwischen an zu bröckeln. Abgesehen davon dass die Zimmer im Haus selbst unterschiedlich aufgebaut und ausgestattet waren, wurden Warmwasserleitungen scheinbar in aller Hektik wie in den vergangenen 30 Jahren einfach Aufputz verlegt.
Die Organisation zur Formel1 selbst war schon eher eine sechs von zehn, lobenswert dafür, dass die Russen von der Formel1- Organisation keine Ahnung haben. Mindestens dreimal am Tag fuhren Lkw´s mit einer Sprühvorrichtung ihre Runden und reinigten die Straßen. Auf der Autobahn wurde der Verkehr täglich damit konfrontiert, dass ein einsamer Mann mit einem Wasserschlauch, der von seinem Lkw aus bedient wurde, die Sichtschutzscheiben an den Lärmschutzwänden reinigte. Putin in Love – so oder so ähnlich, aber die Identifikation mit Russland und der putinschen Politik war mehr als deutlich spürbar. Ich habe mehrere Diskussionen geführt, die aber alle samt ins Leere führten. Putin ist ein Held, er vertritt auf internationalem Parkett das Ansehen der russischen Bevölkerung. Putin ist die Glanzfigur, der es geschafft hat, dem Westen die Stirn zu bieten! Schlagworte wie Georgien, Abchasien oder Ukraine führten zu hitzigen Argumentationen und mich mit den Rücken an die Wand. Ich habe endlich real, life und in Farbe erlebt und gespürt was es bedeutet, zwischen den Stühlen zu stehen. Aus deutscher Sicht wird das russische Fernsehen durch propagandistische Findigkeiten des Kremls beeinflusst, aber exakt spiegelverkehrt sehen es die Russen mit den westlichen Medien. Wer hat also recht? Wem steht das Recht zu, sich über Moral und Ethik zu brüskieren? Wo sind die Grenzen?
Ich habe mich mit drei Russen aus St. Petersburg unterhalten, einer von ihnen wuchs sogar in Dresden auf und spricht hervorragend Deutsch. Ich habe sie nach ihrem Empfinden gefragt, wie sie dem Konflikt zur Ukraine gegenüber stehen und was sie dabei empfinden. Eine diplomatischere Version fiel mir in diesem Augenblick nicht ein und hatte mit meinen Fragen sofort ins Schwarze getroffen. Putin würde alles richtig machen und außerdem hätten die Ukrainer mit dem Krieg begonnen. Die Krim hätte so oder so zu Russland gehört und daher könne man auch nie von einer gewaltsamen Annexion sprechen. Ich habe mich bei der Diskussion gefragt, wieviel Recht mir zusteht, um darüber zu urteilen. Kann oder will ich die Russen nicht verstehen? Tut Putin nicht genau das, was sich Menschen in anderen Ländern oder Kulturen wünschen? Ist er nicht der Präsident, der alles erdenkliche unternimmt, um seine Landsleute zu schützen? Oder ist er doch ein Vasall des Todes und steht mit geballter Faust dem Westen gegenüber?
Meine Einschätzung endet am Verständnis für die russische Kultur. Sie ist zum Teil so kühl und kalt wie der sibirische Winter, aber dennoch so warm und freundlich wie das Schwarze Meer. Vielleicht verstehen es die Menschen im Augenblick noch nicht was es bedeutet, Ost und West und dennoch nahe zu sein. Russland muss dem Westen nichts beweisen, weder in Größe, noch in Stärke. Sochi hätte sich so nicht verändern dürfen und Putins Politik mehr auf das Innere konzentrieren sollen. Er ist dennoch für so viele Russen ein Held, ein Tausendsasser, ein Mann mit Prinzipien. Russland braucht Prinzipien, denn die Kultur ist eine ganz besondere, nicht zu vergleichen mit der des Westens. Die Hand der Versöhnung und des Gespräches sollte nicht verwehrt werden, denn dafür gab es schon einmal zu viele Opfer. Ich wünsche es mir, vor allem ein Sochi 2015!