Es hat viel zu lange gedauert, dass etwas intensiver über die Rolle der Türkei im Syrien- Konflikt gesprochen wird. Am 10. April 2014 wurde erstmals das Thema durch das TV- Magazin MONITOR aufgegriffen. Aber schon am 08. März 2013 habe ich einen Vortrag zum Bürgerkrieg und der Rolle der Türkei vor Offizieren und Stabsoffizieren der Bundeswehr in Hannover gehalten. Um aber zu Antworten zu gelangen, muss man sich in diesem Zusammenhang ein paar Fragen stellen:
Wenn Assad, wie es der türkische Ministerpräsident Erdogan immer wieder beteuert, Angriffe auf türkischen Boden befohlen haben soll, aus welchem Interesse?
Warum hat sich Erdogan im März/ April 2013 mit dem inhaftierten PKK- Chef Abdullah Öcalan getroffen und warum wurde aus diesem Gesprächen heraus ein Friedensvertrag?
Welche Rolle spielen die Kurden im syrischen Bürgerkrieg?
Was bedeutet die Stationierung der deutschen Patriot- Systeme und welche langfristigen Folgen kann es für die Bundeswehr haben?
Aber erst einmal der Reihe nach, denn dieses Thema ist weitaus komplexer, als es die Redaktion von MONITOR in ihrer vergangenen Sendung vorgestellt hat. Ähnlich wie Assad gibt es weitreichendere Interessen, als die innenpolitische Vertretung als Ministerpräsident oder Präsident. Hier geht es vielmehr um die Anknüpfung an Macht und Glanz vergangener Zeiten- das Osmanische Reich. Aber auch schon Hafiz al-Assad verfolgte das Interesse, die Vormachtstellung im Nahen Osten so weit auszubauen, dass es ein arabischen Großreich geben wird. Immer wieder wurde nach Allianzen gesucht, die diese politischen Strategien unterstützten. In Syrien wütet jetzt seit drei Jahren ein unerbittlicher Bürgerkrieg, der aber schon lange mutiert ist. Es gibt inzwischen zu viele Anstrengungen verschiedenster radikalen Gruppen. Auf der Seite von Syriens Präsident Assad kämpfen neben seinen eigenen Truppen die der Hisbollah, der Quds, einer Spezialeinheit der iranischen Revolutionsgarden und die der Volksbefreiungsfront zur Befreiung Palästinas (kurz: PFLP- GC). Auf der Gegenseite werden die Interessen undurchsichtiger und die Aufzählung lässt sich wohl inzwischen immer wieder etwas erweitern. Denn auf der Seite der Opposition, die sie allerdings schon lange nicht mehr ist, kämpfen Freiheitskämpfer der Freien Syrischen Armee, Kämpfer der Islamischen Front, der al-Nusra Front, der al- Qaida und nicht zuletzt Kurden.
In der Nacht auf den 19. März 2014 flog Israel wieder einmal Luftangriffe auf syrischen Boden. Ihre Rechtfertigung sei es, einen Vergeltungsschlag gegen Angriffe syrischer Truppen auf die Golanhöhen geführt zu haben. Es lässt sich so leicht implizieren, aber nicht beweisen, dass Bashar al- Assad hinter den vermeintlichen Angriffen steht. Neben den schon aufgezählten Interessengruppen innerhalb Syriens stehen zwei Länder, die ebenfalls Interesse daran haben, dass der Bürgerkrieg in Syrien so schnell kein Ende findet- Israel und die Türkei. Immer wieder gibt es Versuche, einen Zweifrontenkrieg zu initiieren, denn die Geschichte hat es erstmal mit Napoleon und später durch den 1. und dann durch den 2. Weltkrieg gezeigt, dass diese Form der Kriegsführung zum Misserfolg führt. Israel ist seit Jahrzehnten der erklärte Feind Syriens und des Irans. Beide Länder stehen in einem engen politischen und strategischen Bündnis und es liegt nahe, diese Bündnispartnerschaft zu zerschlagen. Israel nutzt also die Gelegenheiten, um sich strategisch einzumischen und immer wieder erfolgreich der internationalen Staatengemeinschaft glaubhaft zu versichern, es wären Präventivmaßnahmen, um schlimmeres zu verhindern.
An der zweiten Frontlinie steht die Türkei, die selbst über eine große und schlagkräftige Armee verfügt. Ministerpräsident Erdogan steht inzwischen vor dem Scheidepunkt seiner politischen Karriere und hält wie so viele andere Politiker auch, an seinem politischen Stuhl fest. Die innenpolitischen Probleme, wie die Ausschreitungen auf dem Tahir- Platz und an anderen Orten schienen seine Karriere zu beenden, aber weit gefehlt. Das Land ist politisch nicht dem Einfluss seines politischen Apparates gewachsen und es ist zu sehr gespalten. Hier trägt aber auch die Lage der Türkei dazu bei, gibt es einen europäischen und einen asiatischen Teil, der nicht zuletzt auch die Haltung vieler Türken prägt. Viele junge und intellektuelle Menschen drängen auf Veränderungen. Erdogan sei korrupt und machtbesessen, stürze das Land in eine nicht absehbare Islamisierung, so die Bedenken der Menschen dort. Aber auch Erdogan kann sich einen innenpolitischen Zweifrontenkrieg nicht leisten und muss strategisch versuchen, eine nach dem anderen entweder auf seine Seite zu ziehen, oder sie auszuschalten. Wie ich oben schon beschrieben habe, gab es im April 2013 den ersten großen Schachzug in der Geschichte der Türkei und der Kurden, denn niemand hätte damit gerechnet, dass Recep Tayyip Erdoğan das Gespräch mit seinem Erzfeind, dem PKK- Führer Öcalan sucht und ihn zu einem „Verbündeten“ macht. Somit hat er es geschafft eine Volksgruppe ruhig zu stellen, mit der er über Jahre hinweg einen Krieg geführt hatte. Dennoch verfolgen die Kurden ihr ureigenstes Interesse, einen unabhängigen Staat zu gründen. Die Kurden gehören immer wieder zu der Volksgruppe, die verfolgt und bekämpft wurden, denn sie leben in Gebieten der Türkei, Syriens, des Iraks und dem Iran. Immer wieder kam es zur Verfolgung, aber auch zu Unterstützungen durch kurdische Kämpfer, so zum Beispiel im Ersten Weltkrieg im Kampf gegen Russland. Kurdische Interessen sind also eher klar zu definieren, suchen sie nach Jahrzehnten der Verfolgung eine Gelegenheit, um sich eine Vormachtstellung innerhalb des Bürgerkrieges in Syrien zu erkämpfen.
Inzwischen steht auch die Bundeswehr bereit, um die Türkei vor angeblichen Angriffen des Assad- Regimes zu beschützen. Der Einsatz hat nach den Angaben des Verteidigungsministeriums bislang gut 17 Millionen Euro gekostet und umfasst die Bereitschaft, mit insgesamt 104 „Patriot“-Lenkflugkörpern eventuelle Raketenangriffe aus Syrien auf den Nato-Partner Türkei abzuwehren. Dafür stehen knapp 300 Bundeswehrsoldaten im Einsatz. Aber nicht genug, denn im April 2014 verlegte die Bundeswehr weiteres Personal und Material in die Türkei. 19 ABC- Abwehrfahrzeuge des Typs TPz (Transportpanzer) „Fuchs“ und „Mungo“ wurden an die syrische Grenze verlegt. Die Türkei ist NATO- Mitglied und vertraglich in der Position, um Bündnispartner um Hilfe zu bitten: (Quelle: Nordatlantipakt)
Artikel 3 [Erhaltung der Widerstandskraft]
Um die Ziele dieses Vertrags besser zu verwirklichen, werden die Parteien einzeln und gemeinsam durch ständige und wirksame Selbsthilfe und gegenseitige Unterstützung die eigene und die gemeinsame Widerstandskraft gegen bewaffnete Angriffe erhalten und fortentwickeln.
Artikel 5 [Gemeinsame Reaktion auf Angriffe; Sicherheitsrat]
Die Parteien vereinbaren, dass ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen werden wird; sie vereinbaren daher, dass im Falle eines solchen bewaffneten Angriffs jede von ihnen in Ausübung des in Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen anerkannten Rechts der individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung der Partei oder den Parteien, die angegriffen werden, Beistand leistet, indem jede von ihnen unverzüglich für sich und im Zusammenwirken mit den anderen Parteien die Maßnahmen, einschließlich der Anwendung von Waffengewalt, trifft, die sie für erforderlich erachtet, um die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wiederherzustellen und zu erhalten. Von jedem bewaffneten Angriff und allen daraufhin getroffenen Gegenmaßnahmen ist unverzüglich dem Sicherheitsrat Mitteilung zu machen. Die Maßnahmen sind einzustellen, sobald der Sicherheitsrat diejenigen Schritte unternommen hat, die notwendig sind, um den internationalen Frieden und die internationale Sicherheit wiederherzustellen und zu erhalten.
Artikel 61 [Angriffsdefinition]
Im Sinne des Artikels 5 gilt als bewaffneter Angriff auf eine oder mehrere der Parteien jeder bewaffnete Angriff
(i)auf das Gebiet eines dieser Staaten in Europa oder Nordamerika, auf die algerischen Departements Frankreichs2, auf das Gebiet der Türkei oder auf die der Gebietshoheit einer der Parteien unterliegenden Inseln im nordatlantischen Gebiet nördlich des Wendekreises des Krebses;
(ii)auf die Streitkräfte, Schiffe oder Flugzeuge einer der Parteien, wenn sie sich in oder über diesen Gebieten oder irgendeinem anderen europäischen Gebiet, in dem eine der Parteien bei Inkrafttreten des Vertrags eine Besatzung unterhält, oder wenn sie sich im Mittelmeer oder im nordatlantischen Gebiet nördlich des Wendekreises des Krebses befinden.
Welche Folgen kann das für die Bundeswehr haben, sollte sich die Lage in der Grenzregion zu Syrien zuspitzen? Was, wenn die deutschen Soldaten Unterstützer in einem Machtspiel sind, welches nichts mit dem Auftrag der NATO zu tun hat? Welche Haltung nimmt die Bundesregierung dazu ein, wurde das Verhalten Erdogans inzwischen schon mehrfach scharf kritisiert? Die Bundesregierung läuft politisch einem Desaster entgegen, denn zum Einen verurteilt sie den politischen Kurs des türkischen Ministerpräsidenten und auf der anderen Seite ist sie durch die NATO- Bündnispartnerschaft zum Handeln gezwungen. Es ist fünf vor Zwölf, wenn nicht dringend eine unabhängige Kommission Ergebnisse liefert, die zum Einlenken und somit zum Truppenabzug der Bundeswehr aus der Türkei führt.
Assad hat hier kein geopolitisches Interesse an einem Konflikt mit der Türkei, erst recht nicht, die NATO zu einem Eingriff in seine politischen Interessen zu zwingen. In diesem Konstrukt aus Gier nach Macht, einer geostrategischen und religiösen Vormachtstellung stehen drei Mächte auf dem Feld- Israel, Syrien und die Türkei. Zwei Länder haben ein Interesse daran, dass Syrien innenpolitisch weiterhin geschwächt wird und sie nutzen die Gunst der Stunde, um immer wieder Salz in die Wunde zu streuen. Bislang wurden keine der von beiden Ländern angegebenen Argumente einer Intervention bestätigt. Die demokratische Wertegemeinschaft sieht in Bashar al-Assad einen Despoten, das wohl letzte verbliebene Gewand des Teufels und alle Handlungen von außen scheinen somit gerechtfertigt zu sein. Die zahllosen Gräueltaten, die Morde und Verfolgungen in Syrien sind unbestritten, führen sie aber zu Handlungen, die wesentlich weitreichendere Folgen haben können, als endlich ein Mandat der UN zu erwirken und dem Krieg in Syrien mit vereinten Mitteln entgegen zu wirken.