Es sind immer wieder Schüsse in naher Entfernung zu hören. Mal sind es viele, dann sind es wieder einzelne Salven, die in den Morgenstunden verhallen. Stille folgt darauf! Keine Stimmen sind zu hören, keine Vögel die zwitschern, keine Autos, die auf der nahegelegenen Straße vorbei fahren. Die Männer haben ihren Marsch kurz unterbrochen und gehen jetzt wie im Gänsemarsch hintereinander her. Alle halten in alle Himmelsrichtungen nach etwas ungewöhnlichem Ausschau, aber die Ortschaft scheint auf den ersten Blick entweder verlassen zu sein, oder die Bewohner liegen noch im Tiefschlaf. Die Straße ist inzwischen nicht mehr befestigt und der Boden vom Dauerregen der vergangenen Tage aufgeweicht.
Die Männer tragen Bergschuhe, dennoch versuchen sie den Pfützen auszuweichen. Plötzlich hebt der erste von ihnen die linke Hand, um dem Rest der Crew das Zeichen zum Anhalten zu geben. „Da sind welche!“ zischt er na hinten. Nahezu aus dem Nichts heraus sind sie von Einheimischen umzingelt. Niemand spricht im ersten Augenblick, die Blicke wandern von rechts nach links und bleiben immer wieder an den Waffen hängen, die die Einwohner des Dorfes bei sich tragen. Es sind auf den ersten Eindruck russische Sturmgewehre, aber niemand der Journalisten weiß, ob sie geladen sind und ob die Gegenseite bereit wäre, die Waffen gegen sie einzusetzen….
So oder so ähnlich könnte die Geschichte beginnen. Die Redaktion entsendet Kollegen in ein Land, um von dort eine Geschichte zu recherchieren. Vielleicht ist es keine kleine Gruppe, wie sie oft bei TV- Teams zu finden ist, es kann auch ein einzelner Journalist sein, der sich zum ersten Mal in diesem Land aufhält. Im Fall einer Krise oder sogar eines Krieges ist das gegenseitige Misstrauen sehr hoch. Beide Seiten fragen sich, wer sein Gegenüber ist, was er hier möchte.
Auch der Journalist kann sich zunächst nicht sicher sein, ob er auf oppositionelle oder regierungstreue Anhänger gestoßen ist, sie alle tragen Waffen, oft sogar die gleichen. Wie nähert man sich in solch einer Situation? Das ausweisen als Journalist kann in solch einer Situation sogar tödlich sein, sollte man genau an den falschen geraten. Aber vielleicht sind es auch nur Bewohner des Dorfes und sie tragen Waffen, um ihr verbliebenes Hab und Gut zu beschützen. Vielleicht haben sie sogar ein großes Interesse daran, über die Medien auf ihre derzeitige Situation aufmerksam zu machen.
Das UN- Ausbildungszentrum in Hammelburg hat in seiner modularen Ausbildung einen Ausbildungsabschnitt eingebettet, der sich so ähnlich wie im beschriebenen Text zuträgt. Im Gegensatz zur Realität, werden die Lehrgangsteilnehmer zuvor beraten und es werden Tipps gegeben. Aber dennoch weiß niemand der Teilnehmer, was sie erwartet. Hier gilt es, sensibel zu werden, um sich auf den anstehenden redaktionellen Auftrag vorzubereiten. Die Frage bleibt jedoch offen, wie man an verlässliche Quellen kommt und wie man mit ihnen umzugehen hat. Der einwöchige Lehrgang kann dies nicht vermitteln, da dass Militär einen anderen Auftrag als Journalisten verfolgt.
Eine mustergültige Lösung gibt es daher nicht, und die Kollegen stehen daher oft vor neuen Herausforderungen. Welche Gebiete kann ich bereisen, um an Informationen zu gelangen und wo bringe ich mich nicht in Gefahr? Wie gelange ich in diese Gebiete, wenn die Infrastruktur zum Erliegen gekommen ist? Ein Netzwerk aus KollegenInnen wäre in dieser Hinsicht eine Maßnahme, um ggf. gemeinsame Reisen zu planen, oder sich im Vorfeld über Land, Leute und Besonderheiten auszutauschen. Jedoch ist die Konkurrenz in den Medien groß und die Angst, vor allem bei frei arbeitenden Journalisten in gewisser Weise verständlich, potentielle Abnehmer der Berichterstattung zu verlieren. Aber gerade in diesem Bereich muss das Verständnis wachsen, miteinander und nicht gegeneinander zu arbeiten.
Der Gedanke, sich zu unterstützen und vielleicht auch zu ergänzen, kann in Regionen, in denen die freie Presse einen anderen Stellenwert besitzt, als in demokratischen und westlichen Staaten, von Vorteil sein. Teambuilding kann daher kein Nachteil sein, denn ein gemeinsames Ziel bedeutet zugleich auch ein gemeinsamer Weg. (eh)