Die Geschichte Syriens und deren Rolle im Mittleren und Nahen Osten wurde meiner Meinung nach noch nicht so richtig herausgestellt und bedarf sicherlich noch einiger Nachbesserungen. Daher möchte ich wieder einmal versuchen, die eine oder andere Erklärung zu schreiben. Derzeit befinde ich mich wieder im Libanon, um noch mehr Informationen im Bezug auf den Konflikt im Nachbarland Syrien zu erhalten. Leicht wird es jedoch nicht, da sich die Libanesen sehr zurückhalten, was den ehemaligen Besatzer betrifft.
Abgesehen das Syrien die Wiege aller Kulturen darstellt, möchte ich noch einmal in der historischen Chronologie auf ein paar wesentliche Ereignisse eingehen. (Ein tolles syrisches Sprichwort besagt: Jeder Mensch hat zwei Heimaten- Syrien und seine eigene!)
Im folgenden gehe ich aber nicht auf jedes Ereignis ein, nur auf die für meines Erachtens wichtige Geschehnisse innen- wie außenpolitisch ab der Unabhängigkeit Syriens:
- Seit 1946 ist Syrien unabhängig, in den Jahren und Jahrtausenden zuvor gab es immer wieder Besatzungen und Eroberungskriege;
- 1949 kam es zu einem wirkungslosen Waffenstillstandsabkommen zwischen Syrien und Israel;
- 1949 bis 1957: in diesen Jahren gab es allein fünf Staatsstreiche und immer wieder zu außenpolitischen Spannungen zwischen Israel und Jordanien;
- 1950, also vier Jahre nach der Unabhängigkeit von der französischen Besatzung trat die erste syrische Verfassung in Kraft. Hier sei aber noch erwähnt, dass Syrien schon 1945 der UN beitrat;
- 1963 versuchte die Baath- Partei einen Putsch;
- 1967 erleidet Syrien im „Sechs- Tage- Krieg“ eine Niederlage und verliert die Golan- Höhen, ein taktisch sehr wichtiger Punkt, an Israel;
- 1970 erlangt Hafez al- Asad die Macht, beginnt mit der „Korrektur- Bewegung“ und wird ein Jahr später zum Präsidenten gewählt;
- 1973 tritt eine neue Verfassung in Kraft und im selben Jahr verliert Syrien im „Oktoberkrieg“ Qunaitra;
- 1976 greift Syrien in den Libanonkrieg ein und wird Besatzer;
- 1980 schließt Syrien einen zwanzigjährigen Freundschaftsvertrag mit der damaligen UdSSR ab;
- 1982 wird in Hama, einer Stadt zwischen Homs und Aleppo ein Islamisten- Aufstand niedergeschlagen und im selben Jahr marschiert Israel in den Libanon ein;
- 1984 versucht der Bruder des Präsidenten Rifaat al-Asad einen Putsch gegen Hafez al-Asad;
- in den Jahren 1986/ 87 spricht die USA Sanktionen gegen Syrien wegen angeblicher Unterstützung von Terroristen aus;
- im Golf- Krieg 1991 schlägt sich Syrien auf die Seite der USA und deren Alliierte;
- 1992 beginnen die ersten Nahost- Friedensgespräche, die aber schon ein Jahr später wieder ausgesetzt wurden;
- 1994 verstirbt Basil al-Asad, der der älteste Sohn von Hafez al- Asad war und zu dessen Nachfolger auserkoren wurde;
- im Oktober 1994 besuchte US- Präsident Bill Clinton Damaskus;
- 1996 wurden die israelisch- syrischen Geheimverhandlungen im Bezug auf einen Friedensabschluss ergebnislos abgebrochen;
- 1998 fordert Syrien als Bedingung für einen Frieden den israelischen Abzug aus den Golan-Höhen;
- 1999 wurden erneut die Friedensverhandlungen mit Israel in den USA aufgenommen und ein weiteres Treffen in Genf wurde ein Jahr später fortgeführt;
- am 10. Juni 2000 verstirbt Hafez al-Asad und zwei Tage später wird ein Haftbefehl gegen Rifat al- Asad, dem Bruder des verstorbenen Präsidenten ausgesprochen, der aus dem Londoner Exil Anspruch auf dessen Nachfolge als Präsident erhebt;
- am 10./ 11. Juli 2000 wird Bashar al- Asad, Sohn des verstorbenen Präsidenten durch ein Referendum im Parlament als Nachfolger bestätigt;
- im Oktober 2000 besucht Gerhard Schröder als erster deutscher Kanzler seit 1978 Damaskus und einen Monat später werden 600 politische Gefangene aus syrischer Haft entlassen;
- im Frühjahr des Jahres 2001 beginnt der „Damszener Frühling“, der neue Reformen und die Öffnung des Landes versprach- jedoch hielt dieser Frühling auch nur genau einen an! Reformen wurden wieder zurück genommen und die angestrebten Demokratisierungsprozesse verlangsamten sich merklich;
- im Juni 2001, genau mit neunjähriger Verspätung zogen syrische Truppen aus der Bekaa- Ebene ab;
- 2003 wird Syrien im Verlauf des Irak- Krieges von den USA und Israel beschuldigt, Terroristen auszubilden;
- im Oktober 2003 bombardiert die israelische Luftwaffe ein Lager unweit von Damaskus- Syrien reagiert diplomatisch und es kommt zu keinem Gegenangriff;
- 2004 ermordet der israelische Geheimdienst Mossad in Damaskus ein führendes Mitglied der Hamas;
- im Februar 2005 wird in Beirut der Ministerpräsident Rafik al- Hariri durch eine 1.000Kg- Bombe gegenüber des Phoenicia- Hotels getötet. Darauf hin entbrannten anhaltende Massendemonstrationen im Libanon gegen die syrische Präsenz und erst im April 2005 verließen die letzten syrischen Truppen den Libanon;
- im September 2005 erschießt sich der syrische Innenminister General Ghasi Kanaan, nachdem er jegliche Mithilfe an Hariris Ermordung abstritt und im Oktober 2005 verlangt der UN- Sicherheitsrat die umfassende Mithilfe Syriens an der Aufklärung zum Mord und droht Wirtschaftssanktionen an- Syrien willigt ein;
- im Juli 2006 beginnt Israel mit dem zweiten Libanonkrieg und auch wenn Syrien nicht unmittelbar davon betroffen ist, leidet das Land durch die Zerstörung der Verbindungswege zwischen Beirut und Damaskus;
- im September 2006 erfolgt ein Angriff auf die US- Botschaft in Damaskus;
- 2007 leider Syrien immer mehr durch die anhaltenden Flüchtlingsströme aus dem Irak und im selben Jahr weigert sich Israel erneut an den syrisch- israelischen Friedensverhandlungen teilzunehmen und bombardiert im September Syrien, da angeblich im Euphrat ein Atomreaktor entstanden sein soll;
- im Mai 2008 erklärt sich Bashar al-Asad unter der Ägide Frankreichs bereit, an Friedensverhandlungen mit Israel teilzunehmen;
- im September 2008 detoniert eine Bombe in der Nähe des Gebäudes des syrischen Geheimdienstes- 17 Menschen sterben dabei. Wenig später bekennt sich eine syrisch radikale Gruppe zu dem Anschlag und nennt als Motiv die zunehmende „Säkularisierung“ Syriens und im Oktober 2008 bombardiert die USA ein syrisches Dorf in der Nähe der irakischen Grenze. Dabei sterben acht Zivilisten, darunter Frauen und Kinder. Als Begründung geben die USA an, sie hätten irakische Terroristen verfolgt und es kommt bis zum heutigen Tag zu keiner Entschuldigung. Amerika lässt darauf die Botschaft in Damaskus und amerikanische Schulen schließen;
- seit März 2011, mit den ersten Protesten in Dar’a wurde ein scheinbar nicht endender Bürgerkrieg entbrannt. Inzwischen sind vor allem die Städte Damaskus, Homs und Aleppo als Wirtschaftszentren von den anhaltenden Luftangriffen der syrischen Streitkräfte betroffen.
In der Aufzählung der Ereignisse seit Unabhängigkeit Syriens gab es zahllose markante Geschehnisse und ich weiß in diesem Zusammenhang nicht genau, wo man anknüpfen soll. Syrien hat immer versucht, nach einer Einigung der arabischen Kulturen zu streben. Die Baath- Partei, als eine betont panarabisch- argumentierende Partei versucht dies schon seit 1963. Der Wunsch nach einer arabischen Einheit ist vielleicht nicht zuletzt darin begründet, weil die arabische Welt, der Nahe Osten und nicht zuletzt auch die syrische Gesellschaft so zersplittert ist. Bei dem Wunsch nach einer gemeinsamen und großen Einheit sind nicht nur politisch- ideologische Aspekte maßgeblich. Ernstzunehmende soziale und wirtschaftliche Hintergründe müssen dabei betrachtet werden, denn hier kommt die Kluft zwischen den erdölreichen Monarchien, die sich alles leisten können (siehe dabei das Bauprogramm in Dubai) und den rohstoffarmen Ländern zu tragen. Nicht zuletzt haben die industriellen Großmächte seit den vergangenen 80 Jahren eine tragende Schuld an dieser Situation, denn durch ihre wirtschaftlichen Interessen schufen sie eine Divergenz zwischen den arabischen Staaten.
Das schon in den 1940er Jahren angestrebte „Großsyrien“ wurde nicht zuletzt in dem Gedanken mit der Gründung der Arabischen Liga getragen. Eine Grenzerweiterung bzw. Vereinigung mit dem Libanon scheiterte, da die französische Besatzung 1943 in Beirut das Land in die Unabhängigkeit entließ und die damals größte konfessionelle Minderheit, die christlichen Maroniten einen unabhängigen libanesischen Staat forderten und beibehalten wollten. Das Interesse an der Vereinigung mit Palästina scheiterte ebenso, denn schon kurz nach dem Abzug der englischen Mandatsmacht wurde 1948 der Staat Israel gegründet. Somit sahen sich die arabischen Nationalisten im Bezug auf die Palästina, sowie auf die Libanon- Frage als Opfer neo- kolonialer und imperialistischer Weltpolitik. Jetzt ist auch die Brücke zur Gründung und dem Interesse der Baath- Partei geschlagen, die es zu ihrer Aufgabe machte, mit einem panarabischen Programm weiter fortzufahren.
Die Einschätzung der Welt über die Rolle Syriens hat sich jedoch im Lauf der vergangenen Jahrzehnte zweimal gewandelt. In den Jahren 1970/ 80 gelt Syrien noch als Sprössling der Sowjetunion und Hort des internationalen Terrorismus. Dann wurde Syrien 1990/ 91 finanziell und politisch entlohnt, da sie sich in der Kriegsallianz gegen Irak im Kuweit- Konflikt auf die Seite der USA stellten und schon 2003 schlug diese Allianz wieder um und wird international als Terrorismus- Förderer angeprangert und mit dem Rücken an die Wand gestellt. 1990 erklärte sich dann die internationale Staatengemeinschaft damit einverstanden, dass Syrien und seine Armee als Ordnungshüter im Libanon fungieren, dem alten Wunsch Syriens zugunsten. Somit geschah keine Entscheidung in Beirut ohne Kontrolle aus Damaskus und den USA erschien Syrien wieder als ein kooperationswilliger Partner. Der Irak- Krieg 2003 veränderte die Ansicht Amerikas wieder maßgeblich. Syrien, mit der strategischen Scharnierfunktion zwischen Israel, Libanon und dem Irak wird nun erneut beschuldigt, den Terrorismus in den Nachbarländern zu fördern. Nach Ansicht der USA unternimmt Syrien zu wenig, um gegen die Infiltration gewaltbereite Araber vorzugehen. Damaskus wird ebenso vorgeworfen, palästinensische Widerstandsgruppen im Kampf gegen Israel zu unterstützen. Die Unterstützung der Hizbollah kann allerdings nicht geleugnet werden, angesichts dessen, wie offen der Hizbollah- Chef im syrischen Fernsehen gezeigt und kommentiert wird. Der internationale Druck auf Syrien steigt, um seine Innen- und Außenpolitik zu verändern.
Der USA und Frankreich gelang es dann 2004 erneut, als Schutzmacht der libanesischen Christen anzuknüpfen und erwirkten im UN- Sicherheitsrat die Resolution 1959. Darin werden der Abzug aller syrischen Besatzungstruppen aus dem Libanon, sowie die Entwaffnung der Hizbollah, der letzten Bürgermiliz verlangt. Als dann am 14. Februar 2005 der amtierende sunnitische Ministerpräsident Rafik al-Hariri, der vom pro- syrischen in das anti- syrische Lager gewechselt war, ermordet wurde, kam es zu landesweiten Protesten gegen die syrische Präsenz. Syrien zog auf Druck aus dem Libanon und der internationalen Staatengemeinschaft auch die verbliebenen Truppen, auch sein Headquarter des Geheimdienstes aus dem Beau Rivage- Hotel in Beirut ab. (Dieses Hotel zählt heute zu dem am heruntergekommensten Hotel in ganz Beirut!)
Die internationale Gemeinschaft erhofft sich nun durch die zunehmende Demokratisierung im Libanon eine Strahlenwirkung weit über die Grenzen hinweg und somit eine Schwächung des syrischen Regimes. Nachdem die Bush- Administration daran fest hielt, einem Machtwechsel in Syrien entgegenzusehen, hat sich dieser Wunsch seit der Obama- Ära zunehmend erfüllt. Unklar bleibt natürlich das Verhältnis zwischen Syrien und dem Libanon, da Syrien nun der Weg zum Bankenplatz und zahlreichen Arbeitsplätzen im Libanon verwehrt bleibt. Die Entwicklung der „Revolution“ in Syrien bleibt daher sehr fraglich, betrachtet mach die politischen Interessen Syriens und der USA der vergangenen 20 Jahren.