„Danke“ heißt das aktuelle Video der Bundeswehr. Die Ministerium sagt es stellvertretend für alle aktiven und ehemaligen Soldaten, für ihre Dienste im In- und Ausland. Die Truppe hat seit dem Umstrukturierungsprozess nach wie vor mit Nachwuchs zu kämpfen. Auf Berufs- und Bildungsmessen, mit Adventure- Camps und Social- Media Kampagnen versucht das Ministerium nun das Dienen fürs Vaterland interessant zu gestalten. Das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr gab der Presseagentur dapd gegenüber bekannt, dass ein Drittel der neuen Bewerber einen Abitur- oder Fachabiturabschluss besitzen. 35 Prozent die mittlere Reife und 34 Prozent einen Hauptschulabschluss. Nur 6,8 Prozent hatten vor ihrer Zeit beim Militär keinen Job. Jedoch hat ein Viertel der 12.461 Soldaten aus dem ersten Jahr den Wehrdienst abgebrochen. Hauptgründe waren zum Beispiel private Veränderungen, neue Jobangebote oder „andere Vorstellungen von der Bundeswehr“. Im Schnitt verpflichteten sich die Wehrdienstleistenden zu 15 Monaten Dienstzeit.
Aber es gibt nicht nur Armeen, bei denen der Mann frei entscheiden kann, die Jeans gegen eine Uniform zu tauschen. Aber was macht den Reiz aus? Ist es das maskulin dominierte, ein hierarchisches Umfeld? Sind es die Waffen, von denen schon seit Jahrhunderten ein besonderer Reiz ausgeht, oder die Erwartung, einmal ein Kriegsheld zu sein? Die Antworten fallen sicherlich sehr individuell aus und würden vielleicht von der finanziellen Sicherheit bis hin zu Abenteuerlust gehen. Meist sind sie jung, haben vielleicht einen Schulabschluss, oder sogar eine abgeschlossene Berufsausbildung. Sie kommen aus den unterschiedlichsten sozialen Schichten, aus ländlichen Gegenden oder aus Großstädten.
Jeder von ihnen, egal ob aus Deutschland, den USA, der Türkei, Georgien oder Afghanistan muss seine militärische Karriere ganz unten beginnen. Das bedeutet als Rekrut, der zunächst einmal das „Handwerk“ erlernen muss. Ich möchte an dieser Stelle bewusst das „Töten“ vermeiden, denn darum geht es im Grundgedanken einer Armee nicht. Sie lernen, wie sie ihre Kleidung gemäß der Dienstvorschrift zu verpacken haben, die Handhabung verschiedener Waffen und natürlich auch das Bewegen und Kämpfen im Gelände. Und wo auf engem Raum unterschiedliche Charakteren aufeinander stoßen, sind Konflikte nicht ausgeschlossen.
So wurden zum Beispiel zwei Soldaten am nordrhein- westfälischen Standort Augustdorf durch die Staatsanwaltschaft Detmold rechtskräftig verurteilt und fristlos aus der Truppe entlassen. Die zwei Mannschaftssoldaten kamen angetrunken in ihrer Stube zurück und drangsalierten einen ihrer Stubenkameraden. Sie bewarfen ihn mit Gegenständen und bedrohten ihn auch mit einem Besenstiel. Aber kein Einzelfall, denn auch am nordrhein- westfälischen Standort Coesfeld fallen zwei Stabsunteroffiziere damit auf, dass sie sehr offensichtlich mit der Unterdrückung von Untergebenen Soldaten umgehen.
Sie sollen Soldaten als „Bettnässer“ beschimpft und mit Wasser drangsaliert haben. Der Hauptangeklagte wurde für seine entwürdigende Behandlung von Soldaten und Körperverletzung zu 18 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Sein Kamerad, der sich an diesen Misshandlungen beteiligt hatte, erging das Urteil auf 2.400 Euro Geldstrafe. Der ehemalige Stabsunteroffizier soll sich nach Angaben der Zeugen wie ein „Großwildjäger“ verhalten haben und ließ sich mehrfach mit aufgestelltem Fuß auf dem Rücken seiner liegenden Soldaten abgelichtet haben. Im bislang größten Strafprozess in der Geschichte der Bundeswehr saßen anfangs 17 frühere Ausbilder und ihr Kompaniechef auf der Anklagebank. Sie sollen bei den simulierten Geiselnahmen, so die damalige Anklage, auf dem Standortübungsplatz Coesfeld im Münsterland insgesamt 163 Rekruten gefesselt und gedemütigt haben.
Aber das ist weder der Anfang, noch das Ende. Die „Welt“ berichtete von Scheinerschießungen“ auf dem Flughafen Stuttgart. Bei einer Übung des Flugmedizinischen Dienstes der Luftwaffe unter Beteiligung eines Sondereinsatzkommandos (SEK) der Polizei sei im vorigen Jahr ein Überfall palästinensischen Terroristen simuliert worden. Auch zehn wehrpflichtige Feldjäger aus Ulm hätten daran teilgenommen. Den „Passagieren“ seien Jutesäcke über die Köpfe gestülpt worden. Sie hätten sich zwei Stunden hinknien und die Hände über den Kopf legen müssen und seien von den SEK-Beamten mit Wasser in Nacken und Genitalbereich überschüttet worden. Außerdem sei es zu „Scheinerschießungen des Piloten und von Passagieren“ gekommen. Den Teilnehmern seien Details vorher nicht bekannt gewesen. Die dreistündige Aktion sei ohne ihr Einverständnis gefilmt worden. Die politische und militärische Führung zeigt sich geschockt und auch der ehemalige Direktor des aufgelösten (rechtskräftig zum 31. Dezember 2012) Sozialwissenschaftlichen Instituts in Strausberg sagte dazu:
„Der Soldat wird durch Auslandseinsätze nicht gewalttätiger. Im Gegenteil, er wird nicht zum Kämpfer, sondern er wird zum Helfer. Die Soldaten merken, dass sie in den Einsatzgebieten gebraucht werden zum Schutz der Bevölkerung.“
In der Oberpfalz machten machten ebenfalls mehrere Soldaten Schlagzeilen in der örtlichen Presse. Sie zogen ihren kranken Kameraden aus dem Bett und misshandelten ihn, aus Angst ihn auf einem Marsch tragen zu müssen. Nun wurden die fünf 19 und 20 Jahre alten Soldaten aus der Oberpfalz verurteilt. Sie kamen zu fünft in seine Stube, rissen den kranken Rekruten aus dem Bett und zerrten ihn unter die kalte Dusche. Wegen Körperverletzung und Nötigung sind die 19 und 20 Jahre alten Soldaten jetzt vom Amberger Amtsgericht verurteilt worden. Geldbußen in Höhe von 100 bis 2.600 Euro und 60 Arbeitsstunden, so das Urteil des Amberger Amtsgerichtes.
Aber nicht nur in der Bundeswehr ist das Quälen von Soldaten eine Schlagzeile wert. Auch in Russlands Armee ist das misshandeln von Soldaten Alltäglichkeit. Daudow wurde von drei Vaterlandsverteidigern zu Tode gequält. Es ist wieder einmal einer der spektakulären Fälle von Rekrutenmisshandlung in der russischen Armee. Mehr als 16 Soldaten starben bisher nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums an den Folgen von Misshandlungen durch Vorgesetzte oder Dienstältere. Über 276 Soldaten begingen Selbstmord. Insgesamt kamen bisher über 2.000 von ihnen außerhalb von Kampfhandlungen ums Leben. Die Vereinigung „Das Recht der Mutter“ dagegen spricht von mindestens 3000 russischen Soldaten, die jährlich in den Streitkräften gefoltert und in den Tod getrieben werden. Die Berliner Zeitung schreibt dazu in einem Beitrag über Michail:
Michail diente als einfacher Soldat. Seine Einheit war die Raketenbasis Balobanowo-1, nahe Kaluga. Er blieb dort 22 Monate, bis drei vorgesetzte Offiziere ihn so brutal folterten, dass er die letzten zwei Monate seiner Wehrdienstzeit im Krankenhaus verbringen musste. Es ging um mehrere Kanister Benzin. Jemand hatte sie geklaut. Seine Vorgesetzten, drei Offiziere, wollten wissen, wer. Michail erwischten sie in der Werkstatt. An diesem Abend waren alle drei betrunken. Zwei hielten Michail fest, der dritte schlug zu. Ins Gesicht, in den Magen und in den Unterleib. „Ich kann mich nicht an alles erinnern“, sagt Michail, „ab und zu muss ich das Bewusstsein verloren haben.“ Sie schlugen und sie drohten ihm, bis einer der drei auf die Idee kam, ihn mit einem herumliegenden Draht zu würgen. Als die drei nach Stunden von ihm abließen, schleppte sich Michail zurück in die Kaserne auf sein Bett. Am nächsten Morgen bot er einen furchterregenden Anblick. Man brachte ihn zur Kommandantur. Der Kommandeur befahl, Michail habe weiter zu „dienen“. Ein Lazarett- Aufenthalt kam nicht in Frage. „Da bin ich abgehauen“, sagt Michail. „Ich habe meine Eltern angerufen und bin nach Hause gefahren. Seine Eltern brachten Michail ins Krankenhaus. Die Ärzte diagnostizierten eine schwere Gehirnerschütterung und innere Verletzungen. „Ich konnte zwei Wochen lang nichts essen“, sagt Michail. Den letzten Monat verbrachte er in der psychiatrischen Abteilung.
„Sie haben ihn gefoltert“, sagt Ljudmilla Worobjowa. Auch der 18jährige Roman Kasakow wurde zum Wehrdienst einberufen und kam in die Einheit Nr. 02511 nach Kamenka bei Wyborg (Leningrader Gebiet), die wegen der dort herrschenden Willkür gegen Rekruten gebietsübergreifend berüchtigt ist. Er wurde regelmäßig verprügelt, erpresst und musste Vorgesetzten für deren Privatbelange zu Diensten sein. Seit dem 20. September 2009 kämpften Ärzte in St. Petersburg monatelang um sein Leben. Ihm wurde die Schädeldecke eingeschlagen, danach sperrte man den Bewusstlosen in den Pkw seines vorgesetzten Offiziers und vergiftete ihn mit Abgasen. Erst Stunden später fand man ihn. Seitdem liegt er im Koma.
Die Militärstaatsanwaltschaft stellte umgehend einen Bescheid aus, dass er angeblich einen „Selbstmordversuch“ begangen hätte. Sein Krankenzimmer wurde durch Militärwachen hermetisch abgeriegelt.
Kein Einzelfall, erst recht nicht in Russland. In der türkischen Armee stirbt jüngst ein Soldat, der nach Misshandlungen durch seine Vorgesetzten 80 Tage lang im Koma lag. Er verstarb in der Medizinischen Militärakademie Gülhane (GATA) in Istanbul an den Folgen seiner Verletzungen. Drei Tage hätte er ohne Essen und Trinken ausharren müssen. An einen Stuhl gefesselt hätte man ihn viele Stunden in der prallen Sonne stehen lassen. Nach Angaben der Armee seien bei diesem Vorfall bereits 37 Personen befragt worden. Eine militärische Gedenkfeier gab es für Uğur Kantar allerdings nicht, da man hier nicht davon ausgeht, dass es sich hierbei um ein Martyrium handle. Der Leiter der Menschenrechtskommission des türkischen Parlaments wurde dazu beauftragt, sich mit den vorgebrachten Misshandlungsanschuldigungen zu befassen.
Aber auch die US- Armee ist keine Vorzeigearmee. Nach den Skandal- Fotos der US- Soldaten im Irak aus Abu-Ghuraib werden immer mehr Stimmen laut, die aus den Reihen der Uniformierten kommen. Willie Buckels, ein Master Sergeant aus der 296. Transportkompanie, erklärt zu einem CNN- Reporter gegenüber, wie er über die Armee und der Behandlung der Soldaten denkt und fühlt:
„Jetzt hat sich meine gesamte Idiologie der US-Armee gegenüber verändert. Ich werde wie ein Dritte-Klasse-Bürger behandelt „.
Der 27-jährige Robert Loria wird mit der $ 1,768.81 hohen Rechnung von der US-Armee entlassen. Loria wurde schwer verletzt, als sein Humvee, in dem er saß, von einer Bombe im Irak am Straßenrand getroffen wurde. Die Explosion riss Loria die linken Hand, den Unterarm und seinen Oberschenkelknochens ab. Zwei Granatsplitter durchschlugen die linke Seite seines Oberkörpers. Die US- Armee rechtfertigt ihre Rechnung mit einer Zahlung von $ 2,408.33, von dem er nach eigenen Angaben $ 310 zurückzahlen muss, da Geräte in seinem Fahrzeug beschädigt wurden. Dieser Fall ist kein Einzelfall und nach dem Bekanntwerden gab es in Amerika eine öffentliche Aufruhr.
Was also treibt einen jungen Mann in physische und psychische Belastungen? Nationalstolz oder berufliche Perspektivlosigkeit? Beides wäre wohl unangebracht, aber neben Deutschland und Amerika gibt es zahllose Beispiele für den Beitritt in eine Armee. An dieser Stelle kann man nicht exemplarisch sagen, dass eine mindere Schul- oder Berufsbildung dazu beiträgt, dass es zum freiwilligen Anschluss an die Armee führt. Ebenso kann man und muss man festhalten, dass es weder geographisch, noch bildungspolitisch einen gewissen Ursprung für Misshandlungen gibt. Vor allem in Deutschland halten wir uns für ein Musterbeispiel an Demokratie und Gleichberechtigung, aber die skizzierten Fälle beweisen das Gegenteil. Die Starken fressen die Schwachen, egal wo man sich auf dem blauen Planeten befindet. Als Journalist kann ich nur die Fakten festhalten und präsentieren, ich kann es nicht beurteilen und erst recht nicht bewerten. Misshandlungen in einer Armee kann in den unterschiedlichsten Formen geschehen, physisch und/ oder psychisch. Die Beispiele zeigen, dass auch die Bundeswehr nicht davor befreit ist und sich die Vorfälle in den verschiedensten Formen wiederholen. (eh)
Zeichnungen: Vanessa Gösch