(Text zum Audiobeitrag)
Der Truppenabzug aus Afghanistan rückt für die Bundeswehr immer näher. Noch in diesem Herbst soll das Feldlager in Kunduz an die afghanischen Streitkräfte übergeben werden. Ab 2014 ist dann die kämpfende Truppe in Mazar-e-Sharif an der Reihe. Seit Beginn des ISAF- Einsatzes hat sich die Bundeswehr nicht nur in der Fläche, vor allem aber in der personellen Stärke stetig vergrößert.
In diesem Zusammenhang hat bislang kaum jemand über die vielen Tagelöhner und vor allem aber über die Dolmetscher gesprochen. Diese verrichten tagtäglich ihre Arbeit für die Bundeswehr- ohne sie würde so manche Gesprächsaufklärung und die Kontaktaufnahme mit der hiesigen Bevölkerung nicht funktionieren. Viele von ihnen haben studiert, sprechen neben Englisch auch Deutsch und kennen sich auch mit der deutschen Kultur aus. Nicht wenige Soldaten, die sich für die ISAF- Truppe am Hindukush befanden, haben auch ein persönliches Verhältnis zu ihnen aufgebaut. Zu diesem Thema spricht Daniel Lücking aus Berlin mit mir darüber. Du bist selbst ehemaliger Soldat wie ich und kennst auch die Arbeit mit den afghanischen Dolmetschern. Wie war denn dein erster Kontakt mit ihnen in Afghanistan?
Daniel Lücking:
Ich habe in meinen Einsätzen mit jeweils mindestens acht afghanischen Mitarbeitern zusammen gearbeitet. Das waren Radio- Redakteure und wir haben gemeinsam ein Radioprogramm für den Norden Afghanistans produziert. Und ohne diese Menschen wäre diese Aufgabe nicht zu lösen gewesen. Auch die Korrespondenten, die für uns tätig waren im Norden Afghanistans, all diese Menschen haben tagtäglich zur Produktion des Radioprogramms beigetragen und das wäre etwas was die Bundeswehr nicht in der Lage gewesen wäre zu leisten. Die Zusammenarbeit, die ich erfahren habe, war durch die Bank weg vertrauensvoll, es war eine professionelle Kooperation und das hat auch immer sehr viel Spaß gemacht. Abgesehen von den Anschlägen und von den Bedrohungslagen, die man dann eben rund um den Afghanistan- Einsatz hat. Aber generell- ich hatte einen guten Start in Afghanistan und das ist nicht zuletzt den Redakteuren zu verdanken gewesen.
Daniel, wie schätzt Du die Brisanz ihrer Arbeit ein? Viele von ihnen kommen bewusst aus anderen Regionen des Landes, um nicht zuletzt ihre Familie und sich selbst zu schützen.
Daniel Lücking:
Hochgradig brisant! Also man muss sich überlegen, die afghanischen Sprachmittler, Dolmetscher, oder eben auch Redakteure- die waren für uns auch Augen und Ohren und eben auch das Sprachrohr dieses Einsatzes. Das heißt, sie sind unweigerlich mit der ISAF- Truppe verknüpft und das wir irgendwann auf sie zurück fallen. Wir haben es in der tagtäglichen Arbeit auch schon gehabt, dass es Bedrohungssituationen gab und ich habe mehr als einmal die Redakteure daraufhin gewiesen, wenn sich bei Terminen eine Bedrohung ergibt, oder irgendeine Situation, die sie als Bedrohung empfunden, dann sollen sie sich aus dem Staub machen. Ein Redakteur, der erschossen wird, der gekidnappt wird, der nützt für die Arbeit nichts. Und da ist kein Heldentum angebracht und kein Blumentopf zu gewinnen. Da muss man schlichtweg seine Leute schützen und nichts anderes steht jetzt an, wenn dieser Abzug ansteht.
Inzwischen wird offen, aber dennoch eher leise darüber diskutiert, welche rechtlichen Möglichkeiten es gibt, um den afghanischen Dolmetschern Asyl und Schutz zu gewähren. Es klingt schon fast so, als würde sich die Bundesregierung stillschweigend aus der Verpflichtung ziehen zu wollen. Daniel, wie ist dein Eindruck? Warum ist es aus deiner Sicht so wichtig, den afghanischen Dolmetschern Asyl und Schutz anzubieten?
Daniel Lücking:
Da reicht schon ein einfacher Blick in die Geschichte. Das kann die Vietnam- Geschichte sein, wo die Amerikaner festgestellt haben, wie die Nachfolgeregime mit Kollaborateuren umgehen. So muss man die afghanischen Mitarbeiter leider nun mal nennen! Sie sind in den Augen derjenigen, die ihnen böses wollen Kollaborateure. Und wenn man in der afghanischen Geschichte zurück schaut, der wird sehen, dass Demonstrationen der Macht eines Taliban an der Tagesordnung ist. Und dann muss man nicht lange überlegen, wer im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen wird, wenn die ersten Machtdemonstrationen unter dem neuen Regimes stattfinden. Deswegen müssen wir die Dolmetscher, wir müssen die Redakteure dort heraus holen, denn wir werden erst feststellen wie groß die Bedrohungslage ist, wenn die ersten getötet worden sind, wenn sie verstümmelt worden sind, oder wenn Repressalien durch das Nachfolgeregime praktiziert werden.
Nun kann man nicht allen Helfern der Bundeswehr Asyl anbieten, denn hinter einer einzelnen Person steht eine Vielzahl von Familienangehörigen. Dennoch müssen auch die um ihr Leben fürchten. Der Spiegel schreibt, dass bisher 27 Dolmetscher Asyl beantragt haben und bislang erst über ein Fall entschieden wurde. Insgesamt sollen 1.700 lokale Mitarbeiter um ihr Leben fürchten. Inzwischen befasst sich ein Gremium, bestehend aus dem Militärischen Abschirmdienst (MAD), dem Auswärtigen Amt und dem Innenministerium. Warum soll jetzt noch einmal eine Überprüfung stattfinden, wenn sie doch augenscheinlich schon bei der Einstellung der Helfer durchgeführt wurde?
Daniel, wie ist in diesem Zusammenhang deine persönliche Erfahrung und Einschätzung? Warum wird jetzt versucht, durch eine akribische Überprüfung das Asylverfahren zu erschweren? Gibt es Fakten, die gegen einen Antrag sprechen würde?
Daniel Lücking:
Na ja, wenn es Fakten gäbe, die gegen die Aufnahme sprechen, dann muss sich die Bundesregierung fragen, warum diese Menschen überhaupt noch beschäftigt sind bei der ISAF- Truppe. Wenn wirklich so eine grandiose da wäre. Meine persönliche Einschätzung ist, dass man versucht diese Zahlen möglichst klein zu halten und möglichst wenige Afghanen mit nach Deutschland zu nehmen und einreisen zu lassen. Ich kann eigentlich keine Absicht erkennen, wirklich viele Afghanen hier in das Land zu holen. Es ist die typische deutsche Amtsstuben- Mentalität, die auch bei anderen Asylverfahren zu sehen ist. Es soll nach Möglichkeit abgewendet werden, diesen Menschen auf Dauer im Land zu haben. Da geht es weniger um die Bedrohungslage, da geht es schlichtweg um die Kostenvermeidung. Und deswegen versucht die Bundeswehr ja auch durch Weiterbildungsmaßnahmen und Qualifizierungsmaßnahmen das bleiben im Land attraktiv zu machen. Und das finde ich schon etwas zynisch, denn allein die Gefährdungslage jetzt vorhersagen zu wollen ist so gut wie nicht möglich und nach dem Abzug der Truppen, wenn sich dann eine Gefährdungslage herausbildet, dann ist es für die Afghanen sowieso zu spät. Dann kann man sich auch nicht mehr herausholen! Deswegen, in meinen Augen, ein humanitäres Asylverfahren, die Afghanen jetzt mit nach Deutschland nehmen, sobald die Standorte aufgegeben werden und hier in Deutschland ein ordentliches und transparentes Asylverfahren mit dem Ziel einer Greencard- Gewährung durchführen. Das sind wir diesen Menschen schuldig und es würde auch ein sehr schlechtes Bild auf den Einsatz liefern, in dem über 50 deutsche Soldaten gefallen sind. Wofür dieser Einsatz, wofür die hohen persönlichen Entbehrungen, wenn man hinterher die Menschen in dem selben Mist zurücklässt, den man als Ausgangslage da vorgefunden hat?! Ich bin sehr enttäuscht, dass erst jetzt so wenige Monate vorher effektiv an diesem Thema diskutiert wird und das sich Länder wie Frankreich mittlerweile versuchen, durch die Zahlung von wenigen Tausend Euro aus der Verantwortung zu ziehen. Das ist für mich der beste Beweis, dass diese NATO- Einsätze und diese Auslandseinsätze nicht durchdacht sind, kein Konzept haben und dass wir uns eher schämen müssen diese Einsätze gestartet zu haben, als auf irgendein noch so geringen Erfolg zu verweisen.
Die afghanische Regierung hat schon Ende Januar offen dazu Stellung genommen und die deutschen Asyl- Angebote als „inakzeptabel“ bezeichnet. Deutschland wurde aus Kabul dazu aufgefordert, die Idee für die Aufnahme nochmals zu überdenken. Die Tragweite in diesem Zusammenhang ist noch lange nicht abzusehen. Nach dem Zweiten- und dem Vietnam- Krieg, wurden Mitarbeiter der Besatzer misshandelt und hingerichtet. Der afghanische Präsident Karsai argumentiert, dass diese Offerte „Angst und Unruhe“ in der Bevölkerung schürt. (eh)
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