Ich habe mich in den vergangenen Tagen bewusst zurückgehalten, den laufenden Konflikt im Nahen Osten zu kommentieren. Die Ereignisse haben sich diesbezüglich nahezu stündlich überschlagen. Im Allgemeinen muss aber der Blick auf den gesamten Raum gerichtet werden, um ein Gesamtbild entstehen lassen zu können. Aber was ist in der Vergangenheit passiert? Seit 2010 rüstet sich Israel für einen Angriff gegen den Iran und forderte nicht nur einmal die Unterstützung der USA. Seit März 2011 herrscht der Ausnahmezustand in Syrien. Bürgerkrieg in dem Land, welches durch eiserner Hand von Bashar al- Assad regiert wird. Gaza wird im November 2012 durch gezielte Luftangriffe Israels bombardiert, nachdem aus dem Süden Fadsha- Raketen auf Israel abgefeuert wurden.
Das Geschehene bietet im Grunde ein Chaos an Informationen und niemand scheint bei all den Meldungen ein Gesamtbild entstehen zu lassen. Ich bin auch nicht im Stande die politischen Hintergründe fein definieren zu können, dennoch zeichnet sich ein Muster ab. Die bestehenden Konflikte lassen einen näheren Zusammenhang vermuten. In einem früheren Kommentar habe ich schon darüber geschrieben, dass sich der Bürgerkrieg in Syrien nicht mit denen in den anderen arabischen Staaten vergleichen lässt. Libyen, Tunesien, Ägypten, Marokko und der Bharein unterlagen anderen Kriterien, die zu einem inneren Konflikt bzw. Bürgerkrieg geführt haben. Erinnert man sich an den Beginn der Unruhen, war der Auslöser die Selbstverbrennung des Gemüsehändlers Mohamed Bouazizi am 17. Dezember 2010 in Sidi Bouzid, einer 250 Kilometer südlich der Hauptstadt Tunis im Landesinneren gelegenen Stadt.
Diese Unzufriedenheit hat es während des arabischen Frühlings nicht in Syrien gegeben. Wirtschaftlich relativ stabil, zumindest für die regionalen Verhältnisse, gab es keinen unmittelbaren Anlass, um eine Revolte gegen das Regime von Assad entstehen zu lassen. Dennoch lehnten sich Bürger der Stadt Dar´a gegen Assad auf und protestierten gegen dessen Korruption und Misswirtschaft. Diese Demonstrationen wurden unter Anwendung von Gewalt, zum Teil niedergeschlagen und im Gesamten eskalierte dieser Prozess der Auflehnung in einem noch anhaltenden Bürgerkrieg. Während meines eigenen Aufenthaltes im Nahen Osten im September 2012 ( im südlichen Grenzgebiet Syriens) wurde mir verdeutlicht, dass inzwischen nicht mehr ausschließlich oppositionelle Syrier im Land kämpfen. Nach Aussagen der Einheimischen gab es immer wieder Gefechte zwischen den Regierungstruppen und terroristisch- orientierten Gruppen, zum Beispiel aus Afghanistan, Pakistan, oder dem Mittleren Osten. Neben den Hauptkriegsschauplätzen Damaskus, Homs und Aleppo gab es in den vergangenen Monaten auch Angriffe auf territoriales Hoheitsgebiet des Libanon und der Türkei. Mutmaßlich sollten syrische Flüchtlinge daran gehindert werden, das Land zu verlassen. Der Libanon verstärkte daraufhin seine Grenzen und besetzte Checkpoints in den Grenzgebieten. Politisch gesehen wäre es nicht abwegig zu glauben, dass Assad die Gunst der Stunde nutzen würde, seine Machtverhältnisse im Libanon wieder zu errichten. Einige kleine Feuergefechte zwischen Anhängern des Diktators und dem libanesischen Militär in Tripoli und Beirut waren erste Vorboten. Auch der Bombenanschlag auf den libanesischen Geheimdienstchef konnte die syrischen Versuche nicht verheimlichen. Aber warum ausgerechnet die Türkei?
Taktisch bzw. militärisch gesehen wäre es ein kluger Schachzug Israels, sich in den Syrienkonflikt einzubinden. Um einer ggf. bevorstehenden militärischen Auseinandersetzung mit dem Iran nicht hilflos gegenüber zu stehen, muss versucht werden, etwaige Bündnispartner auszuschließen oder zu schwächen. Syrien würde in diesem Konflikt dem Iran zur Seite stehen und somit Israel in die sprichwlrtliche Zange nehmen. Jetzt steht auch noch die Türkei an Syriens Grenze und hat die NATO um Bündnistreue aufgefordert. Deutschland entsendet 170 Bundeswehrsoldaten, die mit dem Patriot- System Unterstützung leisten sollen. Es käme also zu einer Kräfteverschiebung im Land und im Fall der Fälle müsste Assad Truppen von der israelischen in Richtung türkische Grenze verschieben. Israel hätte nunmehr den „Rücken“ frei für den Iran.
Israels Premierminister Benjamin Netanjahu hat seine Bereitschaft, die iranischen Atomanlagen im Alleingang anzugreifen, bestärkt. Sein Land sei auf den Angriff vorbereitet – auch ohne die Unterstützung der USA und der restlichen Welt, sagte Netanjahu in einem am Montag ausgestrahlten Interview mit dem israelischen Fernsehsender Kanal 2. Er hoffe, einen Angriff vermeiden zu können, sei aber „natürlich bereit, den Knopf zu drücken, falls nötig“. (Süddeutsche Zeitung 06.11.2012)
Aber aus welchem Grund hat die Hamaz aus Gaza Raketen auf Israel abgefeuert, gerade jetzt, in der Phase der extremen Anspannung in der Region? Dafür würde das Argument sprechen, die vermeintliche Gunst der Stunde zu nutzen, um Israel von ihrem Plan abzubringen, den Iran anzugreifen. Aber genau das ist wie Don Quichotte gegen Windmühlen zu kämpfen. Der Erfolg ist gleich Null, sollte man auch nur annähernd daran glauben. Der Hamaz fehlen neben der Infrastruktur auch die entsprechenden militärischen Mittel, um einen Angriff gegen Israel führen zu können. Dem Mossad sind zudem die angelegten Waffen- und Munitionsdepots bekannt. Ein zweites Argument zielt auf die „eiserne Hand“ Netanjahus ab, denn im Januar 2013 sind Neuwahlen in der Knesset. Der Ministerpräsident steht innenpolitisch sehr stark unter Druck, denn es geht augenblicklich um seine Wählerstimmen. Er muss seinem Volk beweisen, dass er auch ohne die Hilfe der USA in der Lage ist, sich nicht von seinem politischen Weg abbringen zu lassen.
Der israelische Regierungschef hatte schon während des amerikanischen Wahlkampfs kein Geheimnis daraus gemacht, dass er dem republikanischen Kandidaten Romney den Vorzug gab. Von Anfang an war sein Verhältnis zu Obama angespannt und kühl. Israelische Oppositionspolitiker rieten Netanjahu am Mittwoch, schleunigst seine Beziehungen zu Obama in Ordnung zu bringen. Es sei ein Fehler gewesen, sich so sehr in den amerikanischen Wahlkampf einzumischen, sagte der bekannte frühere Fernsehmoderator Jair Lapid, der Vorsitzende der neuen Jesch-Atid-Partei. Israelische Journalisten berichteten, dass man in Netanjahus Umgebung besorgt sei, dass sich Obama nun rächen und während des israelischen Wahlkampfs Netanjahu kritisieren könnte.
In Jerusalem wird zudem erwartet, dass sich bald der politische Druck aus Washington erhöhen könnte: Die israelische Regierung schuldet Amerika immer noch eine Antwort auf die Frage, wie die Grenzen eines künftigen Palästinenserstaats verlaufen sollen. Die amerikanische Regierung würde gerne wieder Verhandlungen in Gang bringen. Mit großer Skepsis verfolgt die israelische Führung zudem Berichte über angebliche Gesprächskontakte, die Obama nach Iran knüpfen will, um die Beziehungen zu normalisieren. (Frankfurter Allgemeine 07.11.2012)
Während des laufenden Wahlverfahrens in Amerika kam es unter anderem auch zu einem Treffen zwischen Ministerpräsident Netanjahu und dem amerikanischen Präsidentschaftskandidaten Romney. In den Gesprächen wurde wurde sehr schnell deutlich, dass Rpmney, sollte er die Wahl gewinnen, sich ganz auf die Seite Israels stellen werde.
Der US-Republikaner Mitt Romney empfiehlt sich in Jerusalem als unbedingter Freund Israels. Mit Israels Premier Netanjahu zeigte er sich betont herzlich und vertraut. US-Präsidentschaftsbewerber Mitt Romney hat in Jerusalem Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu getroffen. Die beiden Politiker, die sich aus ihrer Arbeit in der Unternehmensberatung Boston Consulting Group in den 1970er Jahren kennen, begrüßten sich wie alte Freunde und nahmen sich halb in den Arm. Beide lächelten immer wieder breit – die Körpersprache war deutlich entspannter als bei Treffen zwischen Netanjahu und US-Präsident Barack Obama, deren Verhältnis als unterkühlt gilt. Romney hat wiederholt angekündigt, er wolle als US-Präsident ein „besserer Freund“ Israels sein. (Zeit- Online 29.07.2012)
Inzwischen schweigen die Waffen wieder im Nahen Osten. Israel und die Hamaz haben sich miteinander verständigt, nicht zuletzt mit der Hilfe aus dem Nachbarland Ägypten. Präsident Mursi, der aus der Muslimbruderschaft hervorgegangene „neue Pharao“ zeigte sich als pragmatischer Vermittler. Die israelische Operation Wolkensäule wurde am 26. November 2012 beendet und die Regierung in Gaza erließ eine Fatwa gegen diejenigen, die gegen die vereinbarten Friedensvereinbarungen mit Israel verstoßen würden. Bei allem Respekt vor den Toten, die während der Gefechte sinnlos ihr Leben ließen, muss dennoch die Frage nach den Gewinnern und Verlierern gestellt werden. Die politische Stärke der Hamaz wurde erneut gestärkt und eine neue sunnitische Linie zeichnet sich in der arabischen Welt ab. Hierzu zählen Staaten wie die Türkei, Ägypten, Qatar und die Hamaz. Der Iran hat hingegen versagt, zeigte Theran zu Beginn unbedingtes Unterstützungsinteresse. Nichts geschah. Keine Kommentare von Mahmud Ahmedinedschad, der noch bei seinem Besuch in New York im September 2012 klare Worte fand und sich zum Thema Israel äußerte.
Vor allem aber schmäht er Israel: Der Staat sei eine „Fabrikation“, arbeite aufs eigene „Ende“ hin, sei „sehr, sehr abenteuerlustig“ – doch Iran werde sich natürlich verteidigen, solle es zu einem militärischen Konflikt kommen. Nur seine altbekannte Behauptung, Israel müsse von der Landkarte getilgt werden, die mag Ahmadinedschad nicht explizit wiederholen. (Spiegel- Online 25.09.2012)
Aber allen politisch- und religiös bestimmten Interessen entgegen handelt es sich um Menschen. Frauen, Kinder, Männer und Greise. Sie leben in einer Fläche, die einem offenen Gefängnis gleicht. Nicht einmal der deutsche Außenminister war am 25.November 2012 bei Günther Jauch in der Lage diesen Zustand beim Namen zu nennen- politisch Korrekt wurde lediglich von deutschem Interesse an der Unterstützung Israels gesprochen. Die Menschen in Gaza resignieren und haben sich der Willkür Israels ergeben.
Noch immer leben in Gaza 80 Prozent der Einwohner von internationalen Hilfslieferungen, und die israelische Armee hat errechnet, dass die tägliche „Diät“ in Gaza nicht unter 2.279 Kalorien fallen dürfe. In der Westbank hat Israel erreicht, dass die Palästinenser die täglichen Demütigungen und Einschüchterungen, etwa an Straßenkontrollen, klaglos hinnehmen. In Gaza wird das, nicht zuletzt wegen der aufgeheizten Stimmung, nicht der Fall sein. Dazu tragen auch israelische Politiker wie Innenminister Yishai bei, der forderte, der Gazastreifen müsse in mittelalterliche Zustände zurückversetzt werden, alle Infrastruktur müsse zerstört werden. Das ist ein idealer Nährboden für Extremismus. Zwar schweigen die Waffen. Von einem Frieden ist der Nahe Osten aber noch immer weit entfernt. (Frankfurter Allgemeine 22.09.2012)
Macht, Religion, Geschichte und Politik- vier Säulen der Menschheit, die das Miteinander zerstören, oder aber vereinen kann. Ein ganzheitlicher und vor allem dauerhafter Frieden ist zwingend notwendig, aber da bin ich nicht der erste der das fordert bzw. schon gefordert hat. Politische und wirtschaftliche Interessen der Europäer und vor allem der Amerikaner verschieben immer wieder aufs Neue die Verhältnisse in der Region. Deutschland steht nur untätig daneben und begründet das Verhalten durch die eigene Geschichte. Großbritanien verhält sich zurückhaltend, da sie diesen Konflikt durch den Ablauf ihres Mandats über Palästina 1947 erst ermöglicht haben. Die USA sehen sich, nicht zuletzt darin begründet, dass große jüdische Interessengemeinschaften in Amerika innenpolitisch Druck ausüben, als unmittelbarer Bündnispartner. Immer wieder kreisen die Geier der Geschichte über genau der Region der Erde, aus der die Geschichte überhaupt erst ermöglicht wurde. (eh)
Idee und Text: Enno Heidtmann
Grafik/ Karte: Vanessa Goesch